Fake Accounts

Autorin: Lauren Oyler
Übersetzt von: Bettina Abarbanell

Eine junge Frau schnüffelt in dem Handy ihres Freundes – an sich nichts allzu besonderes, natürlich nicht gerade ein Vertrauensbeweis, doch ihr Motiv ist eher Langeweile als Misstrauen. Sie entdeckt weder verdächtige Chats noch anzügliche Bilder, und doch gibt es etwas, was sie überrascht: Ihr Freund Felix, der von sich selbst behauptet, die sozialen Medien zu meiden, ist der Kopf hinter einem recht erfolgreichen Instagram-Profil, das Verschwörungstheorien verbreitet. Die junge Frau ist einerseits verwirrt, andererseits empfindet sie eine Art Befriedigung, da dieses Geheimnis ihrem Schnüffeln eine gewisse Legitimation verleiht.

Sie will diesen Erfolg auskosten, das Beste daraus machen: Also beschließt sie, ihren Felix nicht direkt zur Rede zu stellen, sondern zu warten, bis sie ihr neu erworbenes Wissen besonders vorteilhaft einsetzen kann. So vergehen einige Tage, und plötzlich bekommt die Erzählerin einen Anruf: Felix ist tot. Ein Moment der Unachtsamkeit, ein Unfall, jede Hilfe zu spät. Ein gewisser Schock stellt sich ein, und gleichermaßen das Gefühl, um eine Erklärung betrogen worden zu sein. Die Erzählerin entscheidet sich, zurück zu gehen an den Ort, an dem Felix und sie sich kennen gelernt haben: Von Brooklyn zieht sie nach Berlin, ohne einen Plan aber mit dem Gefühl, ihn (oder sich selbst?) hier finden zu können. Von nun an lebt sie in den Tag hinein, verbringt viel Zeit in den sozialen Medien, erfindet immer wieder neue Identitäten und versucht, Berlin so kennenzulernen, wie Felix es wohl auch erlebt hat.

Der Klappentext und der Titel haben bei mir die Erwartung geweckt, dass dieser Roman Spannung bietet, digitale Geheimnisse, Dreck am Stecken und eine Enthüllung nach der anderen. Doch tatsächlich ist der Fake Account von Felix die einzige Instanz dieser Art, und nur das Rad, an dem die Erzählerin die Geschichte ihrer Emotionen spinnt. Als Wolle dient dabei in den seltensten Fällen ihre Beziehung zu Felix, sondern vielmehr ihre eigene Gefühlswelt, ihr Müßiggang und ihre eigene Überlegungen und Theorien. Entsprechend passiert auf den hunderten Seiten des Romans erstaunlich wenig. Die Handlung ist scheinbar nebensächlich. Viel mehr Aufmerksamkeit widmet die Erzählerin dem, was sie tun will, warum sie es tun will, und warum sie es schlussendlich doch nicht tut.

Lauren Oyler hat eine ganz besondere, sehr eigene Art zu schreiben. Das ist das Wesentliche, was mir nach „Fake Accounts“ im Gedächtnis geblieben ist. Ihre Sätze sind pompös, herausfordernd (Respekt an die Übersetzerin an dieser Stelle!), ausgeschmückt, aneinander gekettet und trotzdem in sich stimmig. Ein Beispiel:

„Zeit mit Leuten zu verbringen, die nicht den ganzen Tag online sind, fand ich immer erfrischend; es gab mir das Gefühl, dass ich eines Tages selbst so einen Lebensstil haben könnte, und bis dahin war ich zumindest jemand, der politisch wirklich auf dem Laufenden blieb, der wirklich in das kulturelle Geschehen eingewählt war, obwohl es zunehmend schwierig schien zu sagen, ob die Gesellschaft davon, dass ich auf dem Laufenden blieb, besser wurde, und ich wusste auch, dass eingewählt sein ein pittoresker Anachronismus war, der nur ungenügend beschrieb, wie verzweifelt ich an den Plattformen hing, denen ich meine akute Kenntnis der Kultur und der Nachrichten verdankte.“

Dadurch wird das Lesen zäh und anstrengend. Die Ermüdung nimmt mit jedem Satz, der sich über mehr als fünf Zeilen spannt, weiter zu. Dabei hat man als Leser immer das Gefühl, sich durch eine nicht endende, wabernde Masse zu bewegen, da die erzählten Elemente in keinem bestimmten Verhältnis zur vergehenden Zeit stehen. Je weiter man in den Roman eindringt, desto mehr wirkt er wie eine Collage verschiedener Gedankengänge, Erzählversuche und „Was ich schon immer mal erzählen wollte, was mich aber noch nie jemand gefragt hat“. Alles in allem ist „Fake Accounts“ ein Buch, zu dem ich mich gerne mehr austauschen würde, das für mich eine Herausforderung war. Ein Buch, das ich gerne gelesen habe, das ich aber auch sehr gerne hinter mir habe.


*Erschienen im Berlin Verlag*

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Autorin / Autor: lacrima - Stand: 4. April 2022