Fate & Darkness - Die Geheimnisse von Asgard 1

Autorin: S.T. Bende
Übersetzt von Stephanie Pannen

Mia ist erst vor wenigen Stunden in der verschlafenen Kleinstadt angekommen, in der sie für die nächsten paar Jahre Ingenieurswissenschaften studieren wird. Dass sie sich ausgerechnet für dieses Studienfach entschieden hat, ist kein Zufall, denn Mia liebt alles, was mit Mathe, Ordnung, und vorgegebenen Kategorien zu tun hat. Der Rat ihres großen Bruders, einfach mal ein bisschen zu leben und die Regeln ab und zu zu brechen, passt daher so gar nicht in ihren durchgetakteten Fünfjahresplan. Das ändert sich jedoch schlagartig, als sie auf einer Party den gutaussehenden, aber verschlossenen Tyr kennenlernt. Soll Mia für ihn aus ihren festen Strukturen ausbrechen? Und welche Geheimisse verbirgt Tyr vor ihr?

Ich bin ein großer Fan der nordischen Mythologie und habe mich daher vom Titel dieses Buches sofort angesprochen gefühlt. Mit dem Namen Asgard im Titel wird es für die meisten wohl keine große Überraschung sein, dass es sich bei dem übermenschlich attraktiven Tyr keineswegs um einen normalen Sterblichen handelt. Zuerst habe ich mich auch gefreut, dass hier einer der „weniger bekannten“ nordischen Götter die Hauptrolle spielt – zumindest für diejenigen, die sich außerhalb der Thor-Filme noch nicht viel mit der Mythologie auseinandergesetzt haben. Ich musste allerdings schnell feststellen, dass die meisten Charaktere äußerst eindimensional und oberflächlich dargestellt werden.

Zunächst Tyr selbst: Er ist „der Inbegriff körperlicher Perfektion“, etwa zwei Meter groß und strotzt vor Muskeln. Er fährt Motorrad, trägt gern Lederjacken, hat eine tiefe sexy Stimme und natürlich immer perfekt verstrubbelte blonde Haare. Darüber hinaus ist er wohlhabend, sportlich und irgendwie mysteriös. Natürlich kann Mia nicht verstehen, dass er sich ausgerechnet für sie interessieren sollte, denn sie ist schüchtern, interessiert sich für Mathe und hat „nur“ vier definierte Bauchmuskeln anstelle eines vollständigen Sixpacks. Beinahe jeden Tag macht sie Sport, fährt bei den gefährlichsten Skirennen mit, macht Kampfsport und kann zudem außergewöhnlich gut mit Schusswaffen umgehen. Gleichzeitig ist sie aber süß genug, um zum Fluchen nur Ausdrücke wie „Scheibenkleister“ und „Ach du heiliger Bimbam“ zu verwenden. Außerdem kann sie angeln, so gut kochen, dass ihre Mitbewohnerinnen sich alle Rezepte von ihr beibringen lassen wollen, und ist schlau genug, um an einem der renommiertesten Colleges des Landes aufgenommen worden zu sein. Hübsch und modebewusst ist sie ebenfalls. Warum also sollte Tyr auf sie stehen?!

Insgesamt sind die beiden Hauptpersonen also beinahe rundum perfekt, und das trifft auch auf fast alle anderen Figuren im Buch zu. Dabei sind alle jungen Frauen „klassisch weiblich“: Sie sind hübsch, gehen gern shoppen, haben Angst vor Ratten und interessieren sich für Jungs, Klamotten, Schuhe und Inneneinrichtung. Alle männlichen Charaktere sind muskulös, groß, sportlich, mögen Actionfilme und finden, dass „Kerle“ nicht dazu gemacht sind, Häuser zu dekorieren. Während es bei Tyr als unglaublich anziehend beschrieben wird, wenn er nach männlichem Schweiß riecht, ekelt sich Mia vor sich selbst, als sie einmal ungekämmte Haare hat und ein verknittertes (!) Oberteil trägt. Und natürlich muss Tyr Mia beschützen, manchmal auch gegen ihren eigenen Willen. Obwohl immer wieder ausdrücklich betont wird, dass Mia eigenständig und stark ist, beugt sie sich doch meistens Tyrs Willen – so sehr sie sich auch wehren will, sobald sie sieht, wie besorgt (und heiß!) er aussieht, gibt sie nach.

Tatsächlich problematisch finde ich es, wenn jungen Frauen Ansichten wie „besser, zu spät zu kommen, als hässlich zu erscheinen“ eingeredet werden sollen oder ein Satz wie „ich werde alles tun, was nötig ist, um dich zu beschützen. Selbst wenn das bedeutet, dass ich dich verärgern muss“ als sexy dargestellt wird, obwohl das eine hochproblematische und übergriffige Einstellung ist. Ich möchte damit nicht sagen, dass es in der Realität keine Frauen gibt, die muskulöse Beschützertypen sexy finden oder dass es schlimm wäre, wenn einem das Aussehen eines Mannes wichtig ist – ganz im Gegenteil. Mein Problem mit diesem Buch ist jedoch, dass dort ausschließlich solche stereotypen Charaktere dargestellt werden und Mia zu allem Überfluss auch noch als unabhängige junge Frau mit ihrem eigenen Willen beschrieben wird, diese Unabhängigkeit und Stärke jedoch fast nie gezeigt werden. Generell wird die Devise „show, don’t tell“ so gut wie gar nicht befolgt. So soll Mia zum Beispiel sehr schüchtern sein, kann sich aber problemlos mit völlig Fremden auch über sehr persönliche Dinge unterhalten, war an ihrer Schule Teamleiterin und ist immer schlagfertig. Gleichzeitig wird betont, wie schlau und naturwissenschaftlich gebildet sie ist, aber als Tyr ihr einreden will, dass ein Mensch ein Gerät gebaut hat, dass einen gewissermaßen unsichtbar machen kann, glaubt sie es ihm sofort.

Insgesamt strotzt das Buch vor Klischees (warum ist es immer eine weibliche Sterbliche, die vorher noch nie einen Freund hatte, und ein männlicher, extrem erfahrener Unsterblicher? Ich möchte wenigstens einmal eine Geschichte lesen, wo ein ganz normaler Junge sich in eine uralte, übermenschlich starke und unsterbliche Göttin verliebt! Oder wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem gleichgeschlechtlichen Paar?) und meiner Meinung nach ungesunden Geschlechterdynamiken, weshalb ich es insbesondere jüngeren Leser:innen leider nicht weiterempfehlen kann.


*Erschienen bei One*

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Autorin / Autor: Rebecca - Stand: 2. Juni 223