Feedback erwünscht

Psychologische Forschung: Menschen unterschätzen den Wunsch anderer nach einer konstruktiven Rückmeldung und verweigern ihn darum. Dagegen kann ein Perspektivwechsel helfen.

Ein peinlicher Tippfehler in einer Präsentation, die gleich vorgetragen werden soll oder ein übler Fleck auf dem Shirt einer Person, die gleich zum Vorstellungsgespräch geht. Würdet ihr die betroffene Person darauf aufmerksam machen? Oder ist euch das unangenehm und ihr sagt lieber nichts? Einer aktuellen Studie der Harvard Business School zufolge unterschätzen die meisten Menschen den Wunsch nach Feedback. Dabei ist konstruktives Feedback für die Förderung von Lernen und Leistung von entscheidender Bedeutung, und Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen diese Art von Feedback häufig wünschen, so die Forschenden um Hauptautorin Nicole Abi-Esber. Warum aber verweigern sie anderen eine solche Rückmeldung, obwohl sie sich selbst in einer ähnlichen Situation eine wünschen würden?

Potenzial von Feedback nicht erkannt

Frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen es vermeiden, Feedback zu geben, weil sie negative Folgen befürchten, z.B. dass die andere Person in Verlegenheit gerät oder sich aufregt. Abi-Esber und ihre Kolleg_innen stellten die Theorie auf, dass es noch einen anderen Grund geben könnte: Sie erkennen einfach nicht das Potenzial ihres Beitrags, die Ergebnisse anderer zu verbessern, was dazu führt, dass sie den Wunsch anderer nach einem solchen Feedback unterschätzen.

Um ihre Theorie zu überprüfen, führten die Forscher eine Reihe von fünf Experimenten mit 1.984 Teilnehmern durch. In einem Experiment wurden den Teilnehmenden 10 unangenehme soziale Situationen am Arbeitsplatz präsentiert, in denen sie entweder konstruktives Feedback geben oder erhalten konnten. In einem anderen Experiment wurden sie gebeten, sich an eine Situation zu erinnern, in der sie entweder konstruktives Feedback hätten geben oder erhalten können. Im letzten Experiment wurden die Teilnehmer gepaart, wobei einer eine Rede für einen Wettbewerb einübte und der andere zuhören und Feedback geben sollte.

Je folgenreicher das Feedback wäre, desto weniger wurde es gegeben

In allen fünf Experimenten unterschätzten die Personen, die in der Lage waren, Feedback zu geben, durchweg den Wunsch der potenziellen Empfänger_innen nach Feedback. Je folgenreicher das Feedback war (z.B. jemandem zu sagen, dass seine Präsentationsfähigkeiten verbesserungswürdig sind), desto wahrscheinlicher war es, dass die Teilnehmenden das Bedürfnis des anderen nach Feedback unterschätzten und desto weniger wahrscheinlich war es, dass sie es gaben. In alltäglicheren, weniger folgenschweren Situationen war der Unterschied geringer, z.B., wenn die andere Person Essen im Gesicht oder einen Riss in der Hose hatte.

Die Forschenden fanden aber auch eine einfache und überraschend wirksame Methode gegen die Feedback-Hemmung. So genügte eine Aufforderung, sich in die andere Person hineinzuversetzen ("Wenn Sie diese Person wären, würden Sie ein Feedback wünschen?"), um den Teilnehmenden den Wert des Feedbacks für die andere Person deutlich zu machen, so dass sie auch eher bereit waren, eine Rückmeldung zu geben.
Feedback sei der Schlüssel zu persönlichem Wachstum und Verbesserung, und könne Probleme beheben, die den Empfänger sonst teuer zu stehen kämen, resümieren die Forscherinnen. Sie empfehlen darum, andere immer darauf hinzuweisen, wenn sie ein Wort falsch aussprechen, einen Fleck auf dem Hemd oder einen Tippfehler in einer Folie haben.

Die Studie wurde im Journal of Personality and Social Psychology der APA veröffentlicht.

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