Frauen im Durchschnitt empathischer als Männer

Daten von 305.726 Teilnehmenden aus 57 Ländern: Frauen erzielen durchschnittlich höhere Werte beim "Eyes-Test", bei dem Gefühle an der Augenpartie abgelesen werden müssen

Ist es ein Stereotyp, dass Frauen sich besser in andere hineinversetzen können? Oder ist da was dran? Es gibt viele Forschungsstudien, die Hinweise darauf geben, dass Frauen dies besser gelingt. Die meisten dieser Studien beschränkten sich jedoch auf relativ kleine Stichproben ohne große Unterschiede in Bezug auf Geografie, Kultur und/oder Alter. Ein multidisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung der Universität Cambridge hat darum nun große Stichproben von verschiedenen Online-Plattformen zusammengeführt, um die Daten von 305.726 Teilnehmer:innen aus 57 Ländern zu analysieren.

Der "Reading the Mind in the Eyes-Test" misst Empathie

Die Fähigkeit, sich einfühlen zu können und Gedanken, Gefühle und Absichten anderer lesen oder vorhersagen zu können, wird als "Theory of Mind" oder "kognitive Empathie" bezeichnet. Ob jemand das gut kann oder nicht, wird heute häufig mit dem 1997 an der University of Cambridge entwickelten "Reading the Mind in the Eyes-Test" (kurz: Eyes-Test) überprüft. Bei dem Test sollen die Teilnehmenden allein durch das Betrachten von Fotos der Augenregion des Gesichts das Wort auswählen, das am besten beschreibt, was die Person auf dem Foto denkt oder fühlt.

Frauen schneiden beim Eyes Test besser oder ähnlich ab

Bei der Auswertung der umfangreichen Stichproben kam heraus, dass in allen 57 Ländern Frauen beim Eyes Test im Durchschnitt signifikant besser (in 36 Ländern) oder ähnlich (in 21 Ländern) abschnitten wie Männer. Bemerkenswert ist, dass es kein Land gab, in dem Männer beim Eyes Test im Durchschnitt signifikant besser abschnitten als Frauen. Der durchschnittliche Unterschied zwischen den Geschlechtern wurde über die gesamte Lebensspanne hinweg beobachtet, von 16 bis 70 Jahren. Das Team bestätigte diesen durchschnittlichen Geschlechtsunterschied auch in drei unabhängigen Datensätzen und bei nicht-englischen Versionen des Eyes Tests, die acht Sprachen abdecken.

Frauen im Durchschnitt empathischer als Männer

Dr. David M. Greenberg, der leitende Wissenschaftler der Studie, sagte: "Unsere Ergebnisse sind einer der ersten Belege dafür, dass das bekannte Phänomen, dass Frauen im Durchschnitt empathischer sind als Männer, in einer Vielzahl von Ländern auf der ganzen Welt zu beobachten ist. Nur durch die Verwendung sehr großer Datensätze können wir dies mit Sicherheit sagen."

Ursachen wahrscheinlich biologisch und sozial

In der Studie wurde nicht untersucht, wie diese Unterschiede zustande kommen. Sind sie angeboren? Hormonell bedingt? Sind sie erlernt, weil das traditionelle Frauenbild Frauen als verständnisvolle und einfühlsame Versorgerinnen von Kindern und Hilfsbedürftigen zeichnet und Frauen versuchen, diesen Erwartungen gerecht zu werden? Die Forscher:innen vermuten, dass beide Faktoren eine Rolle spielen: biologische und soziale.

Unterschiedlichste Gründe für Schwierigkeiten, Gesichtsausdrücke zu lesen

Sie betonen aber auch, dass Studien über durchschnittliche Geschlechtsunterschiede nichts über den Verstand oder die Begabungen eines einzelnen Menschen aussagten. Eine Person könne typisch oder atypisch für ihr Geschlecht sein. "Der Eyes Test zeigt, dass viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen Schwierigkeiten haben, Gesichtsausdrücke zu lesen. Diejenigen, die Unterstützung suchen, sollten diese auch erhalten", sagt der leitende Autor der Studie Professor Sir Simon Baron-Cohen.

Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 12. Januar 2023