Der Fantasy-Roman „Frostkuss“ von Jennifer Estep ist 2012 im ivi-Verlag erschienen. Das Buch handelt von Gwen Frost, die als sogenannte Gypsy die besondere Fähigkeit besitzt, die Vergangenheit von Personen und Gegenstände durch Berührungen zu erfahren. Gemeinsam mit Walküren, Spartanern, Wikingern und anderen Kriegern besucht sie die Mythos Akademie zum Erlernen und Verbessern ihrer Fähigkeiten. Eigentlich aber glaubt Gwen nicht wirklich an die ganze Magie und die mythische Geschichte, die nun für sie Realität sein sollte. Als dann aber auf Mythos ein Mord geschieht und Gwen selbst vom Mörder verschont wurde, wird sie unversehens in den Krieg zwischen Göttern und Schnittern hineingezogen, an den sie doch eigentlich gar nicht glaubt. Fest entschlossen den Mord aufzuklären, erfährt sie mehr über ihre Familie und sich selbst, als sie je für möglich gehalten hätte.
Der aus 464 Seiten bestehende Roman hat Suchtfaktor. Es ist einfach nur fantastisch. Geschichte, Charaktere und Schreibstil harmonieren und bilden den perfekten Start für eine absolut geniale Buchreihe. Estep schafft es durch einen flüssigen Schreibstil mit liebevollen Details, aber ohne auszuarten, den Leser von den ersten Seiten an zu fesseln und bis zur letzten Seite nicht mehr loszulassen.
Frostkuss erscheint auf den ersten Blick kein Roman zu sein, der in der Lage ist sich von anderen Büchern dieses Genres abzuheben. Aber dieser erste Eindruck des Inhalts täuscht. Mit ihrem guten Schreibstil schafft Estep es, die Geschichte um Götter und Krieger, Magie und Gaben in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen. Mit Witz, Spannung und ein klein wenig Romantik wird aus dem Fantasy-Roman um das vollkommen normale Mädchen ein Krimi mit ganz besonderen Extras, der durch die Internatssituation voller reicher Teenager nie die Realität aus den Augen verliert. Diese Mischung aus Krimi, Mythologie und Fantasy ist eine neue Kreation, die einen dazu zwingt das Buch in einem Rutsch durchzulesen. Nichts wird neu erfunden, aber alles so zusammengebracht, dass man einfach fasziniert sein muss.
Der Handlungsstrang ist logisch und verläuft in mehreren verschiedenen Fäden, die niemals Langeweile aufkommen lassen. Am Ende laufen die Fäden alle in mehreren Kreuzungen zusammen und führten zum, für mich zumindest, sehr überraschenden „Aha“-Moment.
Die Charaktere, beginnend mit der Protagonistin Gwen Frost bis zur Lehrerin Professor Metis, sind interessant und liebevoll beschrieben. Vor allem Gwen ist so authentisch dargestellt, dass man schnell das Gefühl bekommt sie schon ewig zu kennen. Sie ist die typische Außenseiterin, die durch ihre besondere Gabe und den Tod ihrer Mutter früh erwachsen geworden ist und nun auf eine Schule gehen muss, von der sie glaubt, dass sie dort eigentlich nicht hingehört. Trotzdem erscheint sie als starke, selbstbewusste und vor allem individualistische Person, die in der Lage ist ihr eigenes Ding durchzuziehen, ohne dabei abgehoben oder nervig rüber zu kommen. Sie hebt sich von den reichen Kids mit den besonderen Stärken ab und bildet eine eigene kleine Einheit, was sie sehr sympathisch macht. Hauptsächlich beeindruckt Gwen aber durch ihren trockenen Humor, den sie sowohl innerlich als auch äußerlich präsentiert und der dem Buch einen ganz besonderen Charme verleiht.
Als besonderen Aspekt habe ich allerdings empfunden, dass Gwen an die ganze Magie, die in Mythos gelehrt wird, die ganzen Sagen und Legenden, die von den anderen Schülern als Realität anerkannt und gelebt werden, eigentlich gar nicht glaubt. Dass sie ihre Skepsis an der Sache nie verliert und die eigentliche Absurdität einer Schule voller mythologischer Krieger, zu denen sie sich absolut nicht zählt, nicht einfach als Tatsache akzeptiert. Dies verleiht dem Buch noch einmal ein besonderes Flair, das es von anderen Fantasy-Romanen abhebt.
Aber nicht nur Gwen ist ein ausgeprägter und sympathischer Charakter. Auch die Nebencharaktere sind bis ins kleinste Detail so liebevoll ausgearbeitet, dass man nicht anders kann als zu schmunzeln. Zum Beispiel ist da die Feindin oder doch Freundin Daphne, die ganz oben in der High-Society der Schule steht, verliebt ist in einen nicht ganz so anerkannten Musikfreak, die pink-verrückt und gleichzeitig ein Technikfreak ist. Die Freundschaft, die sich zwischen Gwen und Daphne entwickelt, ist nicht auf einmal da oder war schon immer vorhanden, sondern baut sich Schritt für Schritt sehr authentisch auf. Denn nicht nur Gwen ist es, die hier eine Entwicklung durchmacht, auch Daphnes Veränderung kann man hierbei sehr deutlich beobachten. Sowohl Gwen als auch Daphne ermöglichen Identifikation, die die Sympathie für die Charaktere erhöht.
Auch die Liebesgeschichte, die in Frostkuss entsteht, ist nicht typisch. Die Romanze ist voller Probleme und Geheimnisse, die sich nicht einfach in Luft auflösen, nachdem der Mann die Frau am Ende vor allem Bösen rettet. Gwens hauptsächliches Problem ist, dass sie, wann immer sie einen Jungen berührt oder gar küsst, dessen gesamte Vergangenheit erspüren kann. Sie kennt dann jedes glückliche Ereignis, aber auch jedes fürchterliche Geheimnis, das dieser Junge verbirgt. Sie kann also immer wissen, wann er an ein anderes Mädchen denkt (was für eine schreckliche Vorstellung ist das denn bitte? ;)) oder wen der Junge den sie liebt schon umgebracht hat. Diese Fähigkeit ist bei dem Frauenheld und begabten Krieger Logan, der ein typischer Bad Boy ist, einerseits natürlich sehr nützlich, aber andererseits vielleicht auch das Ende des wunderbaren Helden, den Gwen wohl tief im Herzen gerne hätte. Die Entscheidung zwischen der Wahrheit und dem was man gerne hätte, fällt eben doch nicht immer ganz so leicht. Warum nun aber Logan sich so vor Gwen verschließt ist unklar geblieben und birgt die Hoffnung auf mehr im nächsten Band. Schlussendlich ist also auch diese Figurenkonstellation mal etwas Neues und bisher noch sehr unbefleckt von den vorherrschenden Klischees. Eine Liebesgeschichte die einmal nicht den Mittelpunkt der Handlung einnimmt und alles andere verdeckt und sich trotzdem immer noch sehen lassen kann, verdient meinen vollen Respekt.
Alles in allem bietet Frostkuss also viel, viel mehr als die übliche „die Protagonistin ist die Einzige, die die magische Welt retten kann“-Geschichte. Allerdings, was als negativer Punkt angemerkt werden kann, scheint es am Ende als Vorschau auf den nächsten Teil genau darauf wieder hinauszulaufen. Dies muss noch nicht unbedingt schlecht sein und mindert weder den Wert der Geschichte, noch den Schreibstil, scheint aber den grandiosen Start dieser Buchreihe wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Außerdem wird auf manchen kleinen Details etwas zu sehr rumgehackt, sodass man manchmal denkt: „Ja gut, wir haben verstanden, das hat bestimmt noch eine Bedeutung für später, aber es reicht jetzt auch mal.“ Da ist beispielsweise der Tod von Gwens Mutter, der sie zwischendurch in tiefste Depressionen wirft, aber dann wieder sehr stark in den Hintergrund rückt, oder auch der krasse Unterschied zwischen der armen Gwen und den reichen Anderen. Aber das sind nur Kleinigkeiten, die die Gesamthandlung nur minimal beeinträchtigen und die Freude auf den nächsten Band eigentlich nur maximal erhöht.
Was sich aber auf jeden Fall über dieses Buch sagen lässt ist: Absolut lesenswert! Wer Frostkuss nicht liest, verpasst etwas ganz Großes.
*Erschienen bei Ivi*
Autorin / Autor: LadyJanna - Stand: 11. April 2012