Haltung oder geistige Starrheit?

Gibt es eine psychologisch bedingte Denkweise, die zu extremen politischen Ansichten führt? Eine US-Studie machte den Test

Bild: Luise Weber

Wie ticken Menschen, die sich intensiver mit einer politischen Ideologie identifizieren? Sind sie nur stur oder halten sie in stürmischen Zeiten des Wandels an einer Haltung fest, die auch Wegweiser sein kann? Rein psychologisch gesehen sind sie sich - egal ob links oder rechts - jedenfalls ähnlich, wenn man einer aktuellen Studie folgen möchte. Wie Wissenschaftler_innen der University of Cambridge meinen, haben sie eine bestimmten Charakterzug gemeinsam: ein niedriges Maß an kognitiver Flexibilität. Oder kurz gesagt  "geistige Starrheit". Klingt erstmal ganz schön abwertend, aber die Forschenden klären uns auf: Wer so sei, habe es schwer, seine Denkweise zu ändern oder sich an neue Umgebungen anzupassen.

*Gibt es eine bestimmte Art zu denken?*
743 Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und Bildungshintergrundes aus den USA haben an der Studie teilgenommen, die eine der größten zu diesem Thema seit 20 Jahren ist. Die Forschenden wollten durch objektive psychologische Tests herausfinden, ob politisch "extrem Denkende" eine bestimmte Art zu denken haben. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die grundlegenden Denkprozesse, die uns ermöglichen,  zwischen verschiedenen Konzepten und Aufgaben hin- und her zu pendeln, auch etwas damit zu tun haben, wie sehr wir uns an politische Glaubenssätze binden - und zwar unabhängig von der Ideologie. So kam in mehreren neuropsychologischen Tests heraus, dass Teilnehmer_innen, die sich extrem an die Demokratische oder Republikanische Partei gebunden fühlten, geistig "starrer" waren als politisch Gemäßigte.

*Klarheit gewünscht*
Menschen, die sich schwer tun mit Veränderungen, sehen die Welt gerne in schwarz-weiß. Für sie ist es schwer, neue und unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Deshalb ist der unflexiblere Typ besonders froh über Klarheit, Gewissheit und Sicherheit, was sich wiederum häufig in starker Loyalität zu kollektiven Ideologien ausdrückt, erklärt Studienautorin Dr. Leor Zmigrod. Diese "Versteifung" der Gedankenwelt sei auch häufig verbunden mit extremeren Einstellungen in Bezug auf Religion, Nationalismus und Gewaltbereitschaft bis hin zur Opferung des eigenen Lebens für eine ideologische Gruppe, ergab die Studie.

*Wie wurde getestet?*
Die Teilnehmer_innen absolvierten drei psychologische standardisierte Onlinetests, die messen, wie gut sich Individuen an veränderte Umgebungen anpassen und wie flexibel sie Wörter und Konzepte verarbeiten: ein Wortverbindungsspiel, einen Kartensortierungstest - bei dem Farben, Formen und Zahlen nach wechselnden Regeln aufeinander abgestimmt werden - und eine Übung, bei der sie zwei Minuten Zeit hatten, um sich mögliche Anwendungen für Alltagsgegenstände vorzustellen. Außerdem wurden sie gebeten, ihre Einstellungen zu verschiedenen kontroversen sozialen und wirtschaftlichen Themen einzuschätzen und anzugeben, wie hoch die Überschneidung zu den US-Parteien der Republikaner und der Demokraten sei. Zmigrod und Kolleg_innen fanden heraus, dass diejenigen, die ihrer Partei am treuesten waren, sich auch in allen drei vorgenommenen kognitiven Tests am wenigsten flexibel zeigten. 

In der heutigen polarisierenden Welt sei es wichtig, die psychologischen Grundlagen des Dogmatismus und der strengen ideologischen Zugehörigkeiten zu verstehen, findet die Psychologin und sie will herauszufinden, welche gemeinsamen psychologischen Faktoren dazu führen, dass Menschen zu extremen Ansichten und Identitäten neigen. Und weil frühere Studien gezeigt haben, dass man Flexibilität trainieren kann, fragen sich die Forschenden, ob das nicht eine Methode sein könne, tolerantere Gesellschaften aufzubauen und sogar Gegenmittel gegen Radikalisierung zu entwickeln.
"Während uns unsere konservativen und liberalen Überzeugungen manchmal spalten, kann uns unsere Fähigkeit, flexibel und anpassungsfähig über die Welt nachzudenken, vereinen", so die Hoffnung der Psychologin.

Die Studie erschien im Journal of Experimental Psychology.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 2. September 2019