Es ist ein Paradox: Wer sich für geschlechtergerechte Sprache einsetzt, bekommt immer wieder zu hören, das Thema sei völlig belanglos, interessiere nur eine kleine Minderheit und lenke von wirklich wichtigen feministischen Großbaustellen nur ab.
Gleichzeitig gibt es aber kaum ein Thema, das in den vergangenen Monaten und Jahren so zuverlässig immer wieder starke Ablehnung, ja sogar Hass hervorgerufen hat. Das eigentlich so harmlose Gendern ist kurzerhand zum Schauplatz eines Kulturkampfes erklärt worden.
Worum es beim Gendern eigentlich geht, kann dadurch schnell in Vergessenheit geraten. Zum Glück gibt es jetzt ein Buch, das für Klarheit sorgt, einen Ausweg aus festgefahrenen Debatten zeigt und nebenbei wieder Lust macht auf eine gerechtere Sprache: „Genderleicht“ heißt es, genauso wie die Website des Journalistinnenbundes, aus der es hervorgegangen ist. Und wer sich vom Reizwort im Titel abgeschreckt fühlt, sollte schnell einen Blick auf den Untertitel werfen. Der bringt nämlich das Anliegen der Autorin Christine Olderdissen auf den Punkt: Sie möchte erkunden, „wie Sprache für alle elegant gelingt“.
*Mehr als Gendersternchen*
Gleich nach den ersten Seiten wird klar, dass die Autorin sich dem Thema in seiner ganzen Breite widmet, mit der Ernsthaftigkeit und der Leichtigkeit, die es verdient. Dabei überwindet sie mühelos aus Halbwissen entsprungene Scheinargumente und überrascht ihre Leser∗innen immer wieder.
Die erste Überraschung, oder besser, das erste Vorurteil, das ausgeräumt wird: Beim geschlechtergerechten Schreiben geht es längst nicht nur um das berüchtigte Gendersternchen, auch wenn die Autorin eine Vorliebe für dieses Zeichen hat, soviel sei verraten. Sie weiß aber, dass gerade die inflationäre oder schlicht falsche Verwendung des Sternchens Kritiker∗innen in ihrer Angst vor der „Sprachverhunzung“ bestärkt. Deshalb gibt sie Tipps für dessen sparsame Verwendung sowie sinnvolle Alternativen und zeigt mit einem Blick in die Grammatik den Fehler im Wort „Mitglieder∗innen“.
Es geht auch nicht nur um Männer und Frauen. Eine besondere Aufmerksamkeit widmet die Autorin genderqueeren Menschen, die genauso viel Sichtbarkeit und Respekt verdienen. Im lockeren Tonfall vermittelt sie wichtige Botschaften zum Umgang mit nichtbinären, intergeschlechtlichen oder trans Personen und erklärt zum Beispiel, warum kein Mensch „divers“ und die Frage nach Pronomen so wichtig ist.
Generell ist es erfrischend zu lesen, wie selbstverständlich sie mehr Platz fordert für diejenigen, die bisher in der Sprache oft zu kurz kommen. Auch wenn es für manche Männer nicht leicht zu akzeptieren ist: Auf das Privileg, als einzige genannt zu werden, müssen sie künftig verzichten, wenn wir uns geschlechtersensibel ausdrücken wollen. Wie das geht? Dazu hat Christine Olderdissen einige Ideen gesammelt, die sie in den kurzweiligen, thematisch geordneten Kapiteln vorstellt.
*Experimentierfreudig und sprachverliebt*
Synonyme, Partizipien, neue Pronomen, gar eine entgenderte Sprache? Die Autorin wägt Pro und Contra ab, prüft die Vorschläge auf ihre praktische Tauglichkeit und befindet immer wieder: Warum nicht! Experimentieren ist ausdrücklich erwünscht, die Forderung nach Verboten kommt sowieso eher von Genderkritiker∗innen.
Christine Olderdissen gibt uns damit nicht nur gute Argumente für die nächste Debatte an die Hand, sondern auch ganz konkrete Formulierungshilfen für den Alltag. Denn während sich die Internetseite „Genderleicht“ vor allem an Menschen richtet, die beruflich schreiben, ist das Buch für alle gemacht. Egal ob Einladungen oder Geschäftsbriefe, wir müssen schließlich unabhängig von unserem Beruf verschiedene Texte schreiben, und auch wenn wir sprechen, stellt sich oft die Frage nach dem Geschlecht.
In all diesen Situationen ist der Autorin eines besonders wichtig: der gute Stil, angenehm zu lesen dank ausdrucksstarker, flüssiger Formulierungen. Wie im Untertitel angekündigt, ringt sie bei ihrem Einsatz für Inklusion vor allem um sprachliche Eleganz. Dazu passt, dass Olderdissen keine Linguistin ist (ihre Expertise hat sie als Projektleiterin der Website „Genderleicht“ erworben), sondern Juristin und Fernsehautorin mit einem Gespür für schöne Sätze.
So ist dann auch ihr Buch, das im Dudenverlag erschienen ist und 16 € kostet, weniger ein nüchternes Regelwerk als eine unterhaltsame Erkundung der vielfältigen Möglichkeiten unserer Sprache. Auch wenn die Autorin ihre Leser∗innen zu eigenen Sprachroutinen ermutigen will, können diese sich einiges bei ihr abschauen: Wenn geschlechtersensibles Formulieren so locker, so verständlich und sprachlich elegant geht wie in „Genderleicht“, kann doch keine∗r etwas dagegen haben.
*Erschienen bei Duden*
Autorin / Autor: Aurelia - Stand: 29. August 2022