Das Gesicht ist nicht alles

Forschung: So erkennen wir die Gefühle anderer Personen

Wenn wir wissen wollen, wie es unserem Gegenüber geht, schauen wir ihr/ihm meist zuerst mal ins Gesicht. Doch zum Erkennen der Gefühle gehört noch viel mehr als nur der Gesichtsausdruck. Was alles zu dem Prozess der Emotionserkennung gehört, haben Dr. Leda Berio und Prof. Dr. Albert Newen vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Sie fanden heraus, dass auch physische oder kulturelle Merkmale sowie Hintergrundinformationen über die Person dazu gehören.

In den 1970er-Jahren wurde die Theorie entwickelt, dass das Gesicht das Fenster zu unseren Gefühlen sei. Der Forscher Paul Ekman beschrieb Gefühle wie Angst, Ärger, Ekel, Freude und Traurigkeit über typische Gesichtsausdrücke, die über alle Kulturen hinweg als gleichartig entdeckt wurden. In den vergangenen Jahren sei aber zunehmend deutlich geworden, dass ein typischer Gesichtsausdruck oft nicht die zentrale Information sei: „Menschen schätzen einen typischen Gesichtsausdruck von Angst fast durchgängig als Ärger ein, wenn sie das Hintergrundwissen haben, dass die Person gerade von einem Kellner abgewiesen wurde, obwohl sie nachweislich einen Tisch reserviert hatte“, erläutert Newen. In einer solchen Situation erwarten Menschen, dass die Person sich ärgert, und diese Erwartung bestimmt die Wahrnehmung der Emotion, auch wenn der Gesichtsausdruck eigentlich einem anderen Gefühl zugeschrieben wird.
„Wir können Emotionen manchmal auch erkennen, ohne überhaupt das Gesicht zu sehen. Zum Beispiel die Angst einer Person, die von einem bissigen Hund attackiert wird und die wir nur in einer Haltung von Erstarrung und Erschrecken von hinten sehen“, veranschaulicht Berio.

Hintergrundinformationen fließen in Einschätzung mit ein

Berio und Newens These ist, dass das Erkennen von Emotionen nur einen Teilprozess darstellt, wenn wir uns einen Gesamteindruck über eine Person verschaffen. Dafür stützen Menschen sich auf mehrere Merkmale des Gegenübers, zum Beispiel Hautfarbe, Alter oder Geschlecht, kulturelle Merkmale wie Kleidung oder Attraktivität sowie Gesichtsausdruck, Gestik oder Körperhaltung.

Aufgrund solcher Merkmale können wir andere schnell einschätzen und verbinden einen sozialen Status oder auch Persönlichkeitsmerkmale mit ihnen. Diese Einschätzungen bestimmen aber auch, wie wir die Gefühle anderer interpretieren. „Wenn wir eine Person als Frau wahrnehmen und sie eine negative Emotion zeigt, schätzen wir die Emotion eher als Angst ein, bei einem Mann eher als Ärger“, gibt Berio ein Beispiel.

Auch die Hintergrundinformationen die wir zum Beispiel über Familienmitglieder, Freund:innen und Kolleg:innen haben, beeinflussen die Interpretation von Gefühlen. „Wenn ein Familienmitglied unter Parkinson leidet, lernen wir den üblichen Gesichtsausdruck dieser Person, der eher ärgerlich aussieht, als neutralen Ausdruck einzuschätzen, weil wir wissen, dass der starre Gesichtsausdruck Teil der Erkrankung ist“, so Berio.

Ebenso führen stereotypische Annahmen über Ärzt:innen, Studierende, Handwerker:innen etc. zu veränderten Gefühlseinschätzungen, so würden wir zum Beispiel Ärzte allgemein als weniger emotional wahrnehmen, so Newen.

Um die Emotion einer anderen Person einzuschätzen, nutzen wir also bei weitem nicht nur den Gesichtsausdruck, sondern beziehen viele Merkmale und das Hintergrundwissen mit ein. Nur in seltenen Fällen lesen wir die Gefühle alleine vom Gesicht einer Person ab. „Das hat auch Konsequenzen für das Emotionserkennen mit künstlicher Intelligenz (KI), die erst dann zuverlässig möglich sein wird, wenn sich die KI nicht nur auf den Gesichtsausdruck stützt, wie es die meisten Systeme gegenwärtig tun“, so Newen.

Die Arbeit ist am 24. September 2024 in der Zeitschrift „Philosophy and Phenomenological Research" erschienen.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 15. Oktober 2024