Gewissensbisse machen ungnädig
Neue Studie: Wenn wir unsere Fehltritte nicht leugnen können, beurteilen wir andere strenger und empfinden uns selbst als anständiger
In vielen Sprachen gibt es Redewendungen, die beschreiben, wie man andere verurteilt – für Fehler, die man selbst auch gemacht hat. Beispielsweise "Der Soldat, der 50 Schritte geflohen, verhöhnt die eine, die 100 Stufen floh" (chinesisch) und "Einer mit zerrissenen Kleidern verhöhnt die Nackten" (portugiesisch). Aber was ist wirklich dran an diesen Volksweisheiten? Eine neue Studie liefert uns die Antwort.
Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit kennst du das auch: Man hat einen großen Fehler gemacht, sich unmoralisch verhalten – und fühlt sich schlecht, wenn das Gewissen an einem nagt. Für solche Situationen hat unsere Psyche eine Reihe von Abwehrmechanismen entwickelt: Wir streiten unsere Fehler ab, spielen sie herunter oder rechtfertigen sie.
Laut einer neuen Studie von Wissenschaftlern um Rachel Barkan von der israelischen Ben-Gurion-Universität des Negev reagieren wir aber oft auch anders: Wir distanzieren uns gleich doppelt von eigenen Fehltritten, indem wir nicht nur andere für dieselben Vergehen strenger verurteilen und sondern uns dann auch selbst als anständiger empfinden.
In sechs Experimenten mit mehreren hundert Teilnehmern belegen sie diese Reaktion auf „ethische Dissonanz“, also auf den Konflikt zwischen unserem idealen und unserem tatsächlichen Verhalten. In einem dieser Experimente teilten die Wissenschaftler 141 Studenten in vier Gruppen auf und ließen sie Texte über verschiedene persönliche Situationen schreiben: Gruppe 1 über Erinnerungen an Fehltritte, Gruppe 2 über korrektes Verhalten, Gruppe 3 über eine traurige Situation und Gruppe 4 über einen typischen Abend zu Hause. Daraufhin schlüpften die Testpersonen in die Rolle eines Personalverantwortlichen, der über eine Stellenbesetzung entscheiden sollte. Der Bewerber war bedenklich, hatte er doch gesagt, er besitze Geschäftsgeheimnisse eines Konkurrenten.
Vor allem die erste Gruppe, die sich zuvor an eigene Fehltritte erinnert hatte, neigte dazu, ihn weder einzustellen, noch ihm das Vergehen zu verzeihen, sondern empfand ihn am häufigsten als illoyal. Das Ergebnis der anderen Experimente, hinter denen dieselbe Idee steckte, war das gleiche. Zudem behauptete die genannte Gruppe auch am häufigsten, sie würde sich nie selbst so unmoralisch verhalten.
Aber wieso reagieren wir so?
Wir wollen immer ein positives Bild von uns selbst haben. Wenn wir unsere Fehler nicht leugnen können, tritt dieser Mechanismus, von den Wissenschaftlern das „Esel schimpft den anderen Langohr“- Phänomen (original „Pot calling the kettle black“), ein: Um mit dem Konflikt zwischen unserem optimalen Selbstbild und unserem realen Verhalten umzugehen, nehmen wir Abstand von eigenen Vergehen – und beurteilen andere umso strenger.
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Autorin / Autor: Nanna; - Stand: 15. März 2012