Einsendungen zum Schreib- und Bilderwettbewerb im Wissenschaftsjahr 2012 - Zukunftsprojekt Erde
Die Sonne war schon vor einer gefühlten Ewigkeit aufgegangen. Seitdem saß er auf dem Stuhl in der Mitte des Glaskastens. Gerade, die Hände flach auf den Schenkeln, die Augen offen. Um ihn herum herrschte reges Treiben. Die Wächter patrouillierten vorschriftsmäßig und Richter hasteten durch die Gänge zu ihren Büros oder, häufiger, zu einem der Gerichtssäle. Keiner beachtete ihn. Es war langweilig und anstrengend, so da zu sitzen. Er war müde. Die Augen wurden ihm schwer. Er blinzelte, um sie offen zu halten. Immer wieder fielen sie ihm zu, jedes Mal riss er sie schnell wieder auf. Bloß nicht einnicken!
Die Sirene ging los. Mühsam öffnete er die Augen. Ein Blick zu seiner Anzeige genügte. Er atmete tief durch, dann war der Wärter auch schon da. Brüllte ihm ins Gesicht, er solle gefälligst die Augen offen lassen, stellte den Alarm aus und warf ihm im Hinausgehen eine zusammengerollte Zeitung zu. Er bewegte sich nicht. In der Tür drehte der Wächter sich um und schnauzte: „Nimm sie schon, da hast du was zu tun.“
Ohne den Blick von der Anzeige zu wenden, bückte der Gefangene sich langsam und hob die Zeitung auf. Es handelte sich um die ‚Better world Newspaper‘. Der Leitartikel war über die Amtseinführung von Benjamin J.V.Ch. Bäcker. Das dazugehörige Bild war eine Nahaufnahme von Benjamins ergriffenem, glücklichem Gesicht.
Er blickte auf und wollte dem Wärter danken, doch der war schon dabei, die Tür zu sichern. Da dies nur von außen möglich und der Glaskasten schalldicht war, wusste er, dass er den richtigen Moment verpasst hatte.
Er blickte wieder Benjamins Bild an. Es weckte die verschiedensten Gefühle in ihm. Angst, Trauer, Verzweiflung, Resignation und Hoffnung.
Angst, dass Sie nun bald kämen,
Trauer, weil Benjamin jetzt für immer verloren war,
Verzweiflung, weil er ihn nicht hatte umstimmen können,
Resignation, denn sein Schicksal war besiegelt,
und schließlich,
Hoffnung, dass Benjamin es doch nicht fertig brächte.
Er wusste nicht, welches der Gefühle am Stärksten war und auch nicht, welche Auswirkung Benjamins Amtseinführung tatsächlich haben würde.
Er kam nicht dazu, weiter nachzudenken, denn die Tür seines Kastens wurde geöffnet. Aber er konnte keine Sirene hören. Waren sie gekommen, um ihn abzuholen, war es jetzt soweit? Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und er begann zu schwitzen. Die Angst hatte gesiegt.
Er hörte zwei Stiefel auf den Boden knallen, dann ratterte ein Wächter das Protokoll herunter: „Markus Sebastian Chu Chang Bäcker. Sie haben Besuch.“ Es dauerte eine kleine Weile, bis die letzten Worte zu ihm vordrangen. Sie waren nicht gekommen, um ihn abzuholen. Langsam ließ er die Zeitung sinken. Benjamin stand vor der sich schließenden Tür. Lange sahen sie einander nur an. Dann sagte Benjamin: „Ich habe dir etwas mitgebracht.“ und legte ihm einen bläulichen Stein in die Hand. Markus drehte ihn um und erkannte die dunkle Färbung. Es war ein ‚Widerstandstein‘.
Tränen der Dankbarkeit schossen ihm in die Augen. Seine Finger schlossen sich um den Stein und fühlte dessen Kälte und Glätte. „Danke“, flüsterte er. Benjamin räusperte sich: „Ich bin nicht nur gekommen, um dir einen Stein mitzubringen. Ich habe unsere Flucht vorbereitet und bin gekommen, um dich abzuholen! Draußen wartet ein Wagen, der uns zum Raumhafen bringt, die Rakete ist ebenfalls startklar. Sie bringt uns zu Planet L537Z1. Du weißt, dass die Regierung vorhatte, dort eine neue Zivilisation aufzubauen. Die Siedler sind bereits ausgesucht und abreisebereit. Dort wird es keines der Probleme geben, die du glaubst, beheben zu können! Komm mit, denn dort kannst du leben!“
Während Benjamin redete, wurde Markus Gesicht immer abweisender. Als sein Bruder endete, schüttelte er nur traurig den Kopf: „Ich komme nicht mit.“
Das entgeisterte Gesicht, das Benjamin machte, veranlasste Markus, seine Entscheidung zu erklären, auch wenn sein Bruder diesen Standpunkt kannte. „Weglaufen. Ich würde vor den Problemen dieser Erde weglaufen. Das wäre verantwortungslos und gegen meine Überzeugung und meine Prinzipien. Gott hat uns die Erde gegeben, damit wir uns um sie kümmern, sie beschützen. Darin hat die Menschheit bisher versagt, doch aus den Fehlern können wir lernen! Wenn wir wieder so leben würden, wie vor der Industrialisierung, könnten wir einen anderen Weg einschlagen und nicht als Sklave der Technik, sondern im Einklang mit der Natur leben!“
Sein Blick wanderte von seinem Bruder zu dem Stein in seiner Hand.
„Ich möchte dich um etwas bitten. Wenn in ein paar Tagen das Urteil vollstreckt ist, dann erfülle mir meine letzten Wünsche. Hol die Grünen aus dem Untergrund, pflanze Bäume, schalte endlich die Atomkraftwerke ab und bitte: schütze alle anderen Planeten vor den Menschen. Denn was immer sie in die Finger bekommen, sie werden es zerstören.“
Benjamin war sichtlich enttäuscht. Er hatte gehofft, seinen Bruder retten zu können, doch wenn er weiter auf diesen Unwahrheiten beharrte, konnte er nichts mehr für ihn tun. Markus war und blieb ein Abtrünniger. Er wandte sich um und ging zur Tür, die der Wärter diensteifrig öffnete. Er hatte sie fast erreicht, als sein Bruder hinter ihm herrief: „Warum, Benjamin, warum soll ein kleiner Schritt zurück nicht ein großer Schritt nach vorne sein? Es kommt doch nur auf die Richtung an, aus der du schaust!“
Benjamin drehte sich nicht um. Als der Wärter die Tür wieder sicherte, weinte Markus bitterlich.