Grenzwelten

Autorin: Ursula K. Le Guin
Neu übersetzt von Karen Nölle

Es gibt keinen Planeten B? Ursula K. Le Guin zeigt, dass da draußen noch eine ganze Armada an Planeten existiert und diese Erde vielleicht nur Teil von etwas viel Größerem ist. Ob dieses Größere für Bewohner_innen der Erde und von anderen Planeten allerdings wirklich so gewinnbringend ist, ist fraglich. Die Geschichten, die Le Guin erzählt, zeugen zumindest nicht von einer rosigen Zukunft.

Es geht um Kolonialismus, Unterdrückung, Assimilierung und Machthierarchien. Und um das mangelnde Verständnis, das Menschen anderen gegenüber entgegenbringen.

In „Das Wort für Welt ist Wald“ begleitet die Leserin Menschen, ausgesandt vom Planeten Erde, die einen fremden, über und über bewaldeten Planeten kolonisieren. Sie beuten die vorhandenen Ressourcen aus und unterwerfen die dort lebenden Menschen. Begründet wird diese Unterdrückung mit nur allzu bekannten Motiven, die keineswegs nur in Science-Fiction Geschichten vorkommen: die Menschen, die schon auf dem Planeten leben, sehen einfach anders aus - haariger, kleiner. Sie sind langsamer, arbeiten im Team und gemeinsam statt gegeneinander. Und vor allem träumen sie.

Sie träumen, um sich zu orientieren, zu kommunizieren, nächste Schritte abzuwägen. Erzählt wird die Geschichte teils aus der Perspektive von Selver, der schon sein ganzes Leben auf diesem Planeten verbringt, teils aus der Perspektive von zwei Kolonisten, die mit mehr oder weniger Offenheit an den fremden Planeten herantreten. Während einige weder die empfindlichen Hierarchien und emotionalen Verflechtungen der bereits dort lebenden Menschen verstehen, versuchen andere, sich in sie hineinzuversetzen. Die Situation eskaliert, als Selver einen Traum hat, der anders ist als die vorangegangenen, gefüllt mit neuen, gewaltigeren Gefühlen.

In „Die Überlieferung“ begleitet die Leserin Sati, eine Literaturwissenschaftlerin, die auf einen neuen Planeten zieht - nur um dort festzustellen, dass alles an Literatur, an Kultur, an altem Wissen vom Konzernstaat ausgemerzt wurde. Die Gelegenheit, abseits der vom Konzern vorgegebenen Pfade das Land zu erkunden, ergreift Sati daher mit Freude. Auf dieser Reise stößt sie auf eine Gesellschaft voller Rituale, Bewegungsabläufe, Heilungen, Bildern und vor allem Überlieferungen.

Beide Geschichten sind nicht unbedingt leichte Lektüre. Hier wie da gibt es richtig, richtig böse, fiese Menschen, denen man als Leserin lieber nicht zu nahe kommen möchte. Gleichzeitig üben gerade diese finsteren Charaktere auf mich auch eine Faszination aus. Dankenswerterweise lässt Le Guin die Leser_inenn nicht zu viel im Dunkeln tappen und deckt stellenweise auf, warum ein Mensch handelt, wie er es eben tut. Trotzdem sind die Sympathieträger_innen in beiden Geschichten recht schnell auszumachen und werden in meinen Augen nicht wirklich gebrochen. Wer sich daran stört, auch mal einen kleinen Held_innen-Glanz um die Protagonist_innen wahrzunehmen, wird hier vielleicht nicht ganz glücklich. Mir persönlich hat es gut gefallen und gut getan, von Personen zu lesen, die trotz einer wirklich dystopischen Zukunft weiter Gutes tun.

Alles in allem eignen sich die beiden Erzählungen wunderbar dafür, weiterzudenken und zu hinterfragen, was passiert, wenn Menschen andere unterdrücken. Die Erkenntnis daraus könnte lauten: Wann immer Menschen andere Planeten, Kontinente, Länder, Regionen kolonisieren, überschreiben sie rücksichtslos Bestehendes und säen im Zweifel Hass und Zerstörung, die nicht rückgängig zu machen sind. Das ist zwar keine besonders positive Botschaft, funktioniert als Warnung aber ziemlich gut.

*Erschienen bei FISCHER Tor*

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Autorin / Autor: karla94 - Stand: 8. April 2022