Gutmensch - ein dummes Wort, nicht dumme Menschen

Die Aktion "Unwort des Jahres" rügt 2015 die Begriffe "Gutmensch", „Hausaufgaben“ und „Verschwulung“

Es ist keine neue Wortschöpfung, die zum Unwort des Jahres gewählt wurde, aber der Begriff „Gutmensch“ wurde besonders im letzten Jahr überdimensional häufig von jenen genutzt, die das Engagement für Flüchtlinge ins Lächerliche ziehen und hilfsbereite Menschen damit als naiv abstempeln wollten. Bereits 2011 hatte die Jury das Wort schon mal als ein zweites Unwort gewählt. Dass sich viele immer noch oder schon wieder über den Ausdruck aufregen, zeigt die Anzahl der Einsendungen: er wurde 64-mal und damit am dritthäufigsten als Unwort des Jahres vorgeschlagen.

"Mit dem Vorwurf 'Gutmensch', 'Gutbürger' oder 'Gutmenschentum' werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert", schreibt die Jury der Sprachhüter in ihrer Begründung. Die Juror_innen kritisieren auch, dass der Ausdruck 'Gutmensch' nicht mehr nur von rechts gesinnten und offen rassistisch motivierten Menschen benutzt wird, sondern auch immer mehr Journalist_innen den Begriff verwenden, um "Pauschalkritik an einem 'Konformismus des Guten'" zu üben (Zitiert wird der Journalist Wolfram Weime, der im Handelsblatt vom 11.12.2015 den Artikel „Schluss mit dem Gutmenschen-Gegurke“ geschrieben hatte). Ein weiteres Argument der Jury war, dass das Wort "Gutmensch einen demokratischen Austausch von Sachargumenten" verhindert. Im gleichen Zusammenhang kritisiert sie auch die ebenfalls eingesandten Wörter „Gesinnungsterror“ und „Empörungs-Industrie“, die allesamt dazu beitragen, Menschen zu diffamieren, die sich für bestimmte Etikette zum Beispiel im Umgang mit Sprache einsetzen.

Neben dem eigentlichen Unwort wurden aber noch zwei weitere Begriffe gerügt: Das Wort „Hausaufgaben“, das in den Diskussionen um die Griechenlandkrise 2015 in der EU von Politiker_innen und Journalist_innen genutzt wurde, um ihre Unzufriedenheit mit der Reformumsetzung der griechischen Regierung auszudrücken. Immer und immer wieder wurde der Satz zitiert, Griechenland habe seine „Hausaufgaben“ nicht gemacht. Dieser Begriff degradiere "souveräne Staaten bzw. deren demokratisch gewählte Regierungen zu unmündigen Schulkindern", schreibt die Jury.

Auch das Wort „Verschwulung“, das der umstrittene Autor Akif Pirinçci als Buchtitel wählte(„Die große Verschwulung“), erhielt eine Rüge. Pirinçci macht sich mit diesem Begriff über die angebliche Verweichlichung der Männer und „trotzige und marktschreierische Vergottung der Sexualität“ lustig. Für die Jury stellt das eine "explizite Diffamierung Homosexueller" dar, daher deklariert sie den Ausdruck ebenfalls als ein Unwort des Jahres 2015. Auch durch die Analogie zu faschistischen Ausdrücken wie „Verjudung“ sei die Bezeichnung kritikwürdig.

Für das Jahr 2015 wurden 669 verschiedene Wörter eingeschickt, von denen ca. 80 auch den Unwort-Kriterien der Jury entsprechen. Die Jury erhielt insgesamt 1644 Einsendungen. Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht sämtlich den Kriterien der Jury entsprechen, waren Lärmpause [165], Willkommenskultur [113], Gutmensch [64], besorgte Bürger [58], Grexit [47], Wir schaffen das! [46], Flüchtlingskrise [42], Wirtschaftsflüchtling [33], Asylgegner/-kritiker/Asylkritik [27] und Griechenlandrettung/ Griechenlandhilfe [27].

Die sprachkritische Aktion "Unwort des Jahres" möchte das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch, um damit zu alltäglicher sprachkritischer Reflexion aufzufordern.

Quelle

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 12. Januar 2016