Ideologisch aufgeladen
Forschung: Welche Psychologie steckt hinter Impf-Diskussionen?
Die einen werden als "Schlafschafe" beschimpft, die anderen als "Covidioten". Seit den ersten Impfungen gegen COVID-19 hat sich der öffentliche Diskurs zum Thema deutlich verschärft. Psycholog:innen aus Deutschland und Österreich haben nun untersucht, wie sich die Polarisierung zwischen Geimpften und Ungeimpften entwickelt hat und womit diese zusammenhängt. Erste Ergebnisse wurden nun im renommierten Fachjournal Nature Human Behaviour publiziert und zeigen: Weil dem Impfstatus an sich ein Wert beigemessen wird, verschärft sich die Diskussion oftmals. Aus diesem Grund ist es schwierig, mit reinen Informationskampagnen gegenzusteuern.
Identifikation schürt Polarisierung
Die Studie der Universitäten Bonn, Erfurt und Wien sowie des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) Hamburg fand im Rahmen des COSMO Panels statt, das seit Dezember 2021 in regelmäßigen Abständen Personen in Deutschland und Österreich befragt. Darunter sind mehr als 3.000 Personen, die gegen COVID-19 geimpft sind, und mehr als 2.000 Personen, die sich bisher gegen eine Impfung entschieden haben. Was diese Studie von vielen anderen Studien unterscheidet, ist die große Anzahl von ungeimpften Personen, die regelmäßig an der Online-Umfrage teilnehmen und so ihr Erleben und Verhalten während der COVID-19 Pandemie mit den Forschenden teilen. "Wir konnten zeigen, dass der Identifikation mit dem eigenen Impfstatus eine entscheidende Rolle in der Polarisierung zukommt", erklärt Luca Henkel von der Universität Bonn. Je mehr sich Personen damit identifizierten, geimpft (oder ungeimpft) zu sein, desto intensiver sei die Polarisierung.
Gruppenzugehörigkeit
Laut den Ergebnissen nehmen ungeimpfte Befragte insgesamt die Debatte über das Impfen als deutlich unfairer wahr und erleben mehr soziale Ausgrenzung als geimpfte Befragte. Besonders groß war der Unterschied, wenn sich die Personen stark mit ihrem Impfstatus identifizierten, also je größer der Stolz war, geimpft (oder ungeimpft) zu sein. Das zeigte sich in der Studie auch ganz real: "In einem unserer Experimente konnten die Teilnehmenden 100 Euro zwischen sich und einer anderen Person aufteilen. Sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte haben Personen mit anderem Impfstatus benachteiligt, und zwar umso stärker, je mehr man sich mit dem Impfstatus identifizierte", erklärt der Psychologe Robert Böhm von der Universität Wien. Je mehr sich die Personen also mit ihrem Impfstatus identifizierten, desto unfreundlicher und diskriminierender wurden sie zu der jeweils anderen Gruppe – das galt sowohl für die Ungeimpften als auch für die Geimpften.
Politische Maßnahmen je nach Impfstatus unterschiedlich bewertet
Darüber hinaus konnten die Forscher:innen zeigen, dass die Akzeptanz von Maßnahmen zur Steigerung der Impfquoten ebenfalls von der Identifikation abhing. Geimpfte Personen befürworteten eher eine Impfpflicht – und zwar vehementer, wenn ihnen ihr Status als "geimpft" wichtig war. "Wer allerdings ungeimpft war und sich damit besonders stark identifizierte, lehnte die Impfpflicht besonders heftig ab", so Cornelia Betsch von der Universität Erfurt und dem BNITM.
"In der Vergangenheit wurde oft versucht, bestimmte Einstellungen zur Impfung zu verändern", erklärt Philipp Sprengholz von der Universität Erfurt. "Durch niedrigschwellige Angebote oder gezielte Risikoaufklärung sollten Ungeimpfte von den Vorteilen einer Impfung überzeugt werden. Allerdings wurde dabei kaum beachtet, dass eine starke Identifikation mit dem eigenen 'Ungeimpftsein' dazu führen kann, dass dem Impfstatus ein Wert an sich zugeschrieben wird. Als Konsequenz können ungeimpfte Personen durch solche klassischen Formate oder Kampagnen kaum erreicht werden."
Impfen müsse wieder zu einer Gesundheitsentscheidung werden
Die Forschenden empfehlen deshalb, die Polarisierung zwischen den Gruppen schnellstmöglich zu reduzieren. Ein wertschätzender gegenseitiger Umgang insbesondere auch durch Personen des öffentlichen Lebens könne dazu beitragen, dass die beiden Gruppen wieder mehr aufeinander zugehen und ins Gespräch kommen, so dass Impfen wieder zu einer Gesundheitsentscheidung werden kann und nicht mehr eine ideologische Wertentscheidung ist.
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