Im Sog des Schwarzen Loches
Die Gemeinschaftsoffensive zur Förderung des naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchses in Nordrhein-Westfalen zdi.NRW stellt herausragende MINT-Forscherinnen aus NRW vor. Eine davon ist Dr. Silke Britzen, die zu einem überaus geheimnsvollen Thema forscht: schwarze Löcher. Das Porträt wurde uns freundlicherweise von zdi.NRW zur Verfügung gestellt.
Bild: privat; Dr. Silke Britzen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie erforscht die rätselhaften Objekte im Universum
Unsichtbar, schwarz und extrem anziehend – Schwarze Löcher gehören zu den größten Rätseln des Universums und entziehen sich unserer Vorstellungskraft. Dr. Silke Britzen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie erforscht die rätselhaften Objekte im Universum seit fast zwanzig Jahren. Und war maßgeblich an der Wissenschaftssensation der vergangenen Jahre beteiligt: dem ersten Abbild eines Schwarzen Loches.
Spricht man Dr. Silke Britzen auf ihren Forschungsbereich an, fangen ihre Augen an zu leuchten: „Schwarze Löcher sind der Forschungsgegenstand, der mich wirklich absolut fasziniert. Meiner Meinung nach sind Schwarze Löcher eine der spektakulärsten Vorhersagen von Albert Einsteins Relativitätstheorie.“ Mit schierer Begeisterung und Faszination beginnt die Wissenschaftlerin zu erzählen – von unsichtbaren Objekten, die alles verschlucken, was sich ihnen nähert. Kompakt und supermassiv, unsichtbar, aber bis zu Milliarden von Sonnenmassen schwer. Schwarze Löcher sind wahrhaftig Objekte, die einem verdeutlichen, wie klitzeklein die eigene Welt doch ist. Ein Gedanke, der Silke Britzen seit ihrer Kindheit beschäftigt: „Ich war schon sehr früh vom Universum fasziniert. Eine ästhetische Begeisterung für den Sternenhimmel hatte ich schon als kleines Kind. Später kamen dann Fragen auf wie: Wir leben hier in einem kleinen Raumschiff im großen Kosmos und da draußen gibt es so viel mehr, wie kann man das untersuchen? Wie ist das Universum überhaupt entstanden? Und warum? Wie kann man das erklären? Ich glaube, das sind Fragen, die ganz viele Menschen bewegen. Und diese Fragen waren auch mein Antrieb.“
*Die Angst vor der Wiederholung: Silke Britzens Weg in die Forschung*
Ihr Wunsch, einmal mit dem Radioteleskop des Bonner Max-Planck-Instituts selber beobachten zu können, führte dazu, dass sich Britzen für das Studium der Astronomie und gegen die Kunst entscheidet. An der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn schreibt sie sich 1986 für Physik, Astronomie und Mathematik ein. „Das Malen wäre mein Plan B gewesen. Wenn es mit der Astronomie nicht geklappt hätte, dann hätte ich Kunst studiert.“ Im Anschluss an ihr erfolgreich absolviertes Studium schreibt Britzen sowohl ihre Diplom- als auch ihre Doktorarbeit an ebenjenem renommierten Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Mit ihrem unbändigen Wissensdurst ist Britzen als Forscherin prädestiniert: „Ich hatte wirklich einen Horror davor, mein Leben lang dasselbe machen zu müssen. Es ist mein Antrieb, immer wieder Neues zu lernen, zu finden und zu untersuchen.“ Dennoch ist sie den Bildenden Künsten treu geblieben und malt nebenberuflich – nicht nur, aber auch Sterne. Sie möchte den Blick schärfen – für die Schönheit der Natur auf der Erde und im Kosmos. Seit 2003 forscht Britzen hauptberuflich am Max-Planck-Institut in Bonn und ihr Wunsch, mit dem Radioteleskop beobachten zu können – übrigens eins der beiden größten vollbeweglichen Radioteleskope der Welt – ist Realität geworden. Heute beobachtet Britzen mit diesem Radioteleskop weit entfernte Galaxien. Oder besser gesagt: die direkte Umgebung supermassiver Schwarzer Löcher, bspw. im Zentrum der elliptischen Galaxie M87.
Silke Britzen: Sternenmeer, Acryl auf Leinwand.
*Sterne, Kometen oder Licht – Schwarze Löcher verschlucken alles, was ihnen zu nah kommt*
Vor über 100 Jahren veröffentlichte Albert Einstein seine „Allgemeine Relativitätstheorie“. Aus den bahnbrechenden Gravitationsgleichungen der Einstein’schen Theorie lässt sich die Existenz von Objekten im Universum herleiten, deren Schwerkraft so immens ist, dass alles, was diesen Objekten zu nah kommt, auf Nimmerwiedersehen in ihnen verschwindet. Diese Objekte wurden auf den Namen „Schwarze Löcher“ getauft – denn „aus dem Inneren der Schwarzen Löcher kommt keinerlei Information heraus, nicht einmal Licht. Diese Objekte sind wirklich dunkel“, erörtert Britzen. Da die Schwarzen Löcher sogar das eigene Licht verschlucken, sind sie unsichtbar.
Doch wenn noch nie jemand ein Schwarzes Loch zu Gesicht bekommen hat, woher kommt die Gewissheit, dass diese Objekte existieren?
*Beginn einer neuen Zeitrechnung: Das erste Foto eines Schwarzen Loches*
Bis April 2019 waren Schwarze Löcher vor allem ein theoretisches Konzept. Dann hat die Event Horizon Telescope-Kollaboration (EHT), ein Zusammenschluss von über 200 Wissenschaftler⚹innen aus der ganzen Welt, unter ihnen Dr. Silke Britzen, das scheinbar Unmögliche geschafft. Sie haben nicht nur den Schatten eines Schwarzen Lochs abgebildet, sondern gleichzeitig auch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie untermauert. Dafür wandten die Forscher⚹innen einen Trick an: Sie verknüpften acht der stärksten Radioteleskope weltweit miteinander und simulierten so ein Riesenteleskop mit einer immensen Auflösung. „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in Berlin und lesen in New York eine Zeitung. Mit solch einer Auflösung haben wir es hier zu tun“, so Britzen.
Das erste Abbild eines Schwarzen Loches; © Event Horizon Telescope Collaboration
Als Anhaltspunkte für die Verortung eines Schwarzen Loches dienen den Wissenschaftlerinnen zweierlei Phänomene: Zum einen heizt sich Materie stark auf, sobald sie in den Sog eines Schwarzen Loches kommt und fängt an zu strahlen. Dieses Leuchten können die Forscher⚹innen mit viel Glück durch die Radioteleskope sehen. Außerdem entstehen bei diesem „Fütterungsprozess“, wie Britzen die extreme Anziehungskraft von Schwarzen Löchern nennt, sogenannte Jets: „Das sind Plasmastrahlen, die nach außen geschleudert werden. Die Jets von M87 kann man wunderbar mit Radioteleskopen untersuchen. Immer wenn wir solche Jets gesehen haben, dann sind wir ihnen in Richtung des Zentrums von M87 gefolgt, wo das Schwarze Loch sitzt.“ Im vergangenen Jahr hat sich die jahrzehntelange Verfolgungsjagd endlich ausgezahlt und Britzen und dem Team der EHT-Kollaboration ist es gelungen, das erste Foto eines Schwarzen Lochs zu schießen – ein bahnbrechender Erfolg. „Ich dachte im ersten Moment, dass ich etwas falsch mache. Das war ein unglaublicher Moment in der eigenen Arbeit. Wir haben es tatsächlich geschafft, den Schatten eines Schwarzen Loches als Bild darzustellen!“ Auf dem Foto zu sehen: Ein leuchtend orangener Ring um einen tiefschwarzen kreisrunden Bereich im Inneren – verglühende Materie rund um ein Schwarzes Loch im Zentrum der M87. Das Forschungsergebnis wird im April 2019 auf sechs internationalen Pressekonferenzen gleichzeitig präsentiert. Laut EU-Forschungskommissar Carlos Moedas sei die Aufnahme ein Meilenstein der Astronomie und ein Durchbruch für die gesamte Menschheit (Podbregar 2019).
*Das dunkelste Geheimnis des Universums*
Manch einer würde meinen, dass nach einem solchen Erfolg der Wissensdurst gestillt sein müsste. Nicht so bei Silke Britzen. Sie erforscht weiterhin jene Objekte, die sich unserer Vorstellungskraft entziehen, und zwar mit einem ambitionierten Ziel: „Ich wüsste schon gerne, wie man Schwarze Löcher komplett beschreiben kann und welche physikalischen Kräfte im Inneren wirken.“ Denn was sich im Inneren von Schwarzen Löchern abspielt, ist gänzlich unbekannt und stellt eines der größten Rätsel der Wissenschaft dar. Was so manche Forscherin abschreckt, reizt Britzen ganz besonders, denn die Forschung an Schwarzen Löchern entzieht sich den uns bekannten Naturgesetzen: „Es ist ein unglaublicher Antrieb, an einem dunklen Objekt zu arbeiten, in das man nicht reingucken kann. Bei der Forschung an Schwarzen Löchern gibt es diese Grenze, die uns von der Physik aufgezwungen wird. Und so stellt sich mir jeden Tag die Frage: Ist das wirklich eine Grenze? Oder gibt es eine Lücke in der Theorie? Können wir nicht doch irgendwie mehr erfahren?“ Wie essentiell die Forschung von Britzen und ihren Kolleg⚹innen ist, zeigt sich spätestens im Oktober 2020, als drei Wissenschaftler⚹innen für die Erforschung von Schwarzen Löchern mit der weltweit wichtigsten physikalischen Auszeichnung prämiert wurden: dem Nobelpreis für Physik. Silke Britzen ist begeistert: “Dass Schwarze Löcher faszinierende und wichtige Foschungsobjekte sind, steht außer Frage. Aber so ein Nobelpreis ist dann doch nochmal etwas anderes und gibt dem Forschungsbereich noch mehr Aufmerksamkeit und Bestätigung. Ich gratuliere den Kolleg⚹innen ganz herzlich!” Unter den Preisträger⚹innen: Andrea Ghez, eine Forschungskollegin von Britzen. Ghez ist die vierte Frau, die jemals den Nobelpreis für Physik verliehen bekommen hat. Nach Donna Strickland taucht nun nur zwei Jahre später wieder eine Frau im Zentrum des Wissenschaftsgeschehens auf und wird sichtbar. Eine durchweg positive Entwicklung, findet auch Silke Britzen: “In diesem Jahr wurde nicht nur Andrea Ghez mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, auch Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna wurden mit dem Nobelpreis für Chemie prämiert. Dass die Anzahl der Preisträgerinnen steigt, ist auch außerhalb der Wissenschaft sehr positiv aufgenommen worden. Ich finde das Signal, dass Frauen nobelpreiswürdige Forschung machen, enorm wichtig. Ich hoffe, dass es jungen Frauen, die Spaß an der Wissenschaft haben, Mut macht und Rückenwind gibt.”
Silke Britzen: Sternenstaub, Acryl auf Leinwand.
*Die Zeiten waren nie besser, um als Frau in die Wissenschaft zu gehen*
Ihr immenses astronomisches Wissen gibt Britzen als Dozentin an der Universität Heidelberg weiter. Es ist ihr Anspruch, dem MINT-Nachwuchs Lust auf die wissenschaftliche Forschung zu machen. Und den Studierenden die Angst vor Forschungsinstituten zu nehmen: „Viele Studierende haben großen Respekt vor der Wissenschaft“, so Britzen. „Sie denken, dass nur Genies bei einem Max-Planck-Institut forschen und haben Angst davor, sich zu bewerben. Aber es ist einfach unglaublich spannende Forschung, die Spaß macht. Und wenn man den Alltag des Forschens bereits im Studium erfährt, dann sind die Berührungsängste später deutlich geringer.“ Insbesondere jungen Frauen möchte Britzen Mut machen und sie darin bestärken, in die Forschung zu gehen: „Als ich angefangen habe, Physik zu studieren, waren 5-10% der Studierenden weiblich. Inzwischen sieht es anders aus und das Geschlechterverhältnis hat sich in den letzten Jahren deutlich gebessert, auch wenn natürlich noch viel Luft nach oben ist. Unter unseren Doktorand⚹innen am Max- Planck-Institut ist das Verhältnis 50/50. Auch auf internationalen Konferenzen sind deutlich mehr Frauen präsent und halten Vorträge. Und das ist ganz wichtig: Wir Forscherinnen müssen uns zeigen, Fragen stellen, Vorträge halten, Proposals einreichen. Die vielen wunderbaren Frauen in der Wissenschaft müssen endlich sichtbar werden.“ Denn durch sichtbare Vorbilder werden Mädchen und junge Frauen darin bestärkt, ebenfalls einen Weg in der Forschung einzuschlagen und sich nicht von Vorurteilen abschrecken zu lassen. Dr. Silke Britzen geht als gutes Beispiel voran und resümiert: „Die Zeiten waren nie besser, um als Frau in die Wissenschaft zu gehen. Macht es!“
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Autorin / Autor: zdi.NRW / Dr. Silke Britzen - Stand: 10. November 2020