Tobias Elsäßer zu seinem neuen Jugendbuch „Für niemand“

Tobias Elsäßer
Für niemand
Sauerländer

Buchcover Für niemand

Suizid gehört bei Jugendlichen zu den häufigsten Todesursachen. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes nahmen sich im Jahr 2008 in Deutschland 603 Jugendliche (zwischen 10 und 24 Jahren) das Leben. Dabei sind Suizidversuche nicht mitgerechnet.

Den Ludwigsburger Jugendbuchautor Tobias Elsäßer beschäftigt das Thema schon seit längerem: "In den Schreib-Workshops für Jugendliche, die ich sehr oft in Schulen oder Jugendzentren veranstalte, behandelt etwa ein Drittel der Teilnehmer bei den freien Texten das Thema Suizid. Sobald man im Internet zu recherchieren beginnt, ist man schockiert, wie viele Menschen ganz offen über Selbstmord diskutieren. Da findet man sogar Anleitungen für die sicherste Methode."

Ab sofort ist sein neues Buch "Für niemand" (Sauerländer) im Handel, in dem es um drei Jugendliche geht, die mit dem Leben abschließen - und einen 'Helden', der ihnen helfen möchte.

*Zum Inhalt*
Drei Jugendliche, drei Schicksale. Sie kennen sich nicht, aber sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Selbstmord. In einem Internetforum verabreden sich Sammy, Nidal und Marie, um gemeinsam zu sterben – ohne allerdings zu ahnen, dass sie beobachtet werden. Yoshua ist heimlicher Mitleser des Chats und versucht, das Ereignis zu verhindern. Tatsächlich gelingt es ihm, die Identität, die hinter den Nicknames steckt, herauszufinden. Doch was wird passieren, wenn er zum vereinbarten Treffpunkt kommt ...? Spannend und eindringlich zeichnet Tobias Elsäßer in diesem Episodenroman vier Schicksale zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Neuanfang.

Katja Straub befragte Tobias Elsäßer zu seinem neuen Roman:

*"Für niemand" ist dein fünftes Jugendbuch. Warum schreibst du so gerne für diese Zielgruppe?*
Ich finde, dass die Pubertät eine ungeheuer spannende Zeit ist. Der Blick auf die Welt verändert sich und man versucht im Dschungel der Möglichkeiten seinen eigenen Weg zu finden. Diese Suche ist oft mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden. Man nimmt Abschied von seiner Kindheit und blickt kritisch auf das Rollenspiel vieler Erwachsener. Oft spiegelt man sich an den eigenen Eltern und fragt sich, ob man sie weiterhin als Vorbilder akzeptieren will. Diese Entwicklung birgt sehr viele Konflikte, die man sowohl tragisch als auch komisch in Geschichten packen kann. Über die Zielgruppe mache ich mir aber beim Schreiben keine Gedanken. Als Autor geht es mir darum, gute Geschichten zu erzählen, die keinem wie auch immer gearteten Hype hinterherjagen. Ich persönlich unterscheide nicht zwischen Belletristik für Jugendliche und der für Erwachsene. Für mich gibt es nur Bücher, die mir gefallen und solche, die das nicht tun.

*Welcher Aspekt deiner Arbeit macht dir am meisten Spaß?*
Ich liebe es, mich in die Denk- und Handlungsweisen meiner Romanfiguren hineinzuversetzen. Man fühlt sich ein bisschen wie ein Schauspieler, der eine neue Rolle einstudiert. Das kann sehr anstrengend sein, weil man mit seinen Figuren lacht, liebt und leidet, aber auch großartig, weil man ganz tief in seine eigene Geschichte eintaucht. Oft zeigt sich beim Schreiben von Dialogen und inneren Monologen, wie gut man seine Charaktere kennt. Wenn ich merke, dass ich noch zu wenig über sie weiß, setze ich mich in Cafés und beobachte Menschen, um hinter die fehlenden Bausteine zu kommen. Der Moment, in dem ich selbst das Gefühl habe, dass die Figuren „echt“ sind, ist die größte Belohnung für meine Arbeit.

*Du bist, neben dem Schreiben, auch noch Musiker. Was ist für dich wichtiger? Musik oder Literatur?*
Für mich gehört beides zusammen. Wer zu meinen Lesungen kommt, wird bemerken, dass die Musik – vor allem die Texte – oft im Zusammenhang mit meinen Büchern stehen. „Für niemand“ hätte ich ohne Musik nie schreiben können. Diesmal habe ich mich von der Schweizer Sängerund Songschreiberin, Sophie Hunger, inspirieren lassen. Sie hat ein Lied mit dem Titel „Walzer für niemand“ geschrieben. Dieses Lied habe ich unzählige Male während der Arbeit an meinem neuen Roman angehört.

*Im neuen Buch geht es um das Thema Selbstmord? Wie bist du darauf gekommen?*
Vor etlichen Jahren hat sich ein Freund von mir von einer Brücke gestürzt. Niemals hätte ich gedacht, dass er zu so etwas fähig ist, da er nach außen hin glücklich schien. Wie durch ein Wunder hat er überlebt. Danach habe ich mich mit ihm darüber unterhalten, warum er sich niemand anvertraut hat, als es ihm so schlecht ging. Hinzu kommt, dass in Workshops etwa ein Drittel der Teilnehmer bei den freien Texten das Thema Suizid behandelt. Sobald man im Internet zu recherchieren beginnt, ist man schockiert, wie viele Menschen ganz offen über Selbstmord diskutieren. Da findet man sogar Anleitungen für die sicherste Methode. Nicht zuletzt war meine eigene Jugend von extremen Stimmungsschwankungen geprägt.

*Die Jugendlichen im Buch kommunizieren viel übers Web. Bist du auch im Internet aktiv?*
Das Internet ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden. Ich habe eine eigene Homepage über die wöchentlich zwischen 20 und 30 Mails von Schülern eingehen, die etwas über mich oder meine Bücher erfahren wollen. Mittlerweile bin ich auch bei Facebook präsent, wo ich regelmäßig Eindrücke von Lesereisen schildere und über die Höhen und Tiefen der Schreibarbeit berichte. Ich mag den direkten Kontakt zu den Lesern. Als ich neulich gepostet habe, dass ich das Schreiben momentan anstrengend finde und nach Job-Alternativen suche, antwortete ein Schüler, dass ich durchhalten soll, damit er bald wieder was von mir zu Lesen bekommt. Das hat mich aufgemuntert und motiviert.

*Warum arbeitest du im neuen Buch mit kurzen Episoden? Ist das den (veränderten) Lesegewohnheiten der Jugendlichen geschuldet?*
Nein, daran hab ich nicht gedacht, als ich den Stil für das Buch festgelegt habe. Ich wollte eine Art Strudel erzeugen, der sich zum Ende hin immer schneller dreht. Der Leser sollte durch die hohe Geschwindigkeit des Romans davon abgelenkt werden, dass manche Szenen sich erst ganz zum Schluss in das Gesamtbild einfügen lassen und chronologisch betrachtet nicht an der richtigen Stelle sind. Ich hatte immer ein digitales Puzzle vor Augen, das nach einem Datencrash nicht mehr in der richtigen Reihenfolge ist. Jedes Bild fügt ein neues Teil hinzu, aber erst ganz zum Schluss erkennt man das Motiv – und ist überrascht. Auf keinen Fall sollte der Leser das Buch weglegen, weil er das Gefühl hat, nicht mehr mitzukommen. Das war beim Schreiben die größte Herausforderung. Das Gespräch führte Katja Straub

Autorin / Autor: Katja Straub / Tobias Elsäßer - Stand: 21. März 2011