Deniz ist zwei Wochen durch Iran gereist und erzählt von ihren Eindrücken, Begegnungen und Überraschungen
Als Frau unbeschwert in Iran reisen? Für die meisten Menschen aus dem Westen heute gar keine so abwegige Vorstellung mehr. Immer mehr Leute (vor allem Europäer) wagen eine Reise nach Iran. Noch vor einigen Jahren war dies jedoch ein schier wahnsinniger Gedanke. Vielleicht auch für mich, bevor ich mich schlauer über die Region gemacht und - wie so einige der deutschen Iran-Touristen - vorher in "Couchsurfing im Iran" geschmökert hatte. Abgesehen davon war wohl auch mein brennendes Interesse für den nahen und mittleren Osten nicht ganz irrelevant, sodass meine Neugierde letztendlich überwog. Mein Entschluss war also gefasst: Ich wollte dieses Land, so reich an Kultur und Geschichte, bereisen. Die Geschichten, die ich über Iran gehört und gelesen hatte, faszinierten mich: Ein Land voller Widersprüche und Vielfalt. Ein Land, in dem 70 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre alt sind (Stand 2015). Ein Land, in dem sich ein großer Teil der so jungen Bevölkerung trotz der strikten Gesetze ihre kleinen Freiheiten rausnimmt. Und das angeblich gastfreundlichste Land der Welt.
Vielleicht grenzt es auch an eine Art Perversion von uns westlichen Reiselustigen, Länder bereisen zu wollen, die von unseren Medien angefochten werden. Aber geht es im Grunde nicht genau darum? Herauszufinden, ob an dem von den Medien propagierten Bild etwas dran ist, und wenn ja - wie viel eigentlich? Jeder von uns kann die Moralkeule über die unterschiedlichen Reise-Destinationen schwingen, ohne jemals selbst einen Fuß auf Grund und Boden des Landes gesetzt zu haben. Wirklich eine Meinung bilden kann man sich meiner Meinung nach aber erst, wenn man die Menschen und das Land vor Ort erlebt hat. Meiner Meinung nach sollte die Neugier im Vordergrund stehen, und man sollte sich selbst ein Bild von der Realität verschaffen. Im Fall Iran ging es also darum, herauszufinden, ob sich das Bild vom "Schurkenstaat" eigentlich bewahrheitet. Zugegeben: In knapp zwei Wochen keine leichte Aufgabe, aber dennoch möchte ich meine Eindrücke darüber teilen.
*Die Gastfreundschaft der Iraner*
Natürlich war auch ich nur eine Touristin in Iran und werde allein schon aufgrund dieser Tatsache das Land niemals so erfahren können wie die Menschen, die vor Ort leben und auch mit der Politik leben müssen. Aber ab der ersten Sekunde auf iranischem Boden habe ich dieses Land mit all seinen warmen, fröhlichen und freundlichen Menschen in mein Herz geschlossen. Egal, ob das chaotische Teheran, das bezaubernde Isfahan, das historische Yazd oder das bunte Schiraz - die Städte sind so reich an Kultur und Geschichte, dass es scheinbar an jeder Ecke etwas zu Bestaunen gibt. Und die Iraner haben einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik. So sind sogar fahle Lehmwände oft mit orientalischen Kunstwerken verziert.
Ein einziger Reizüberfluss, bei dem man aus dem Staunen einfach nicht rauskommt. Aber was das Land als Reiseland tatsächlich zu dem macht, was es ist, sind die Menschen. Jeder Iran-Tourist wird einem dies erzählen. Auch ich hatte mich aufgrund zahlreicher Erzählungen darauf eingestellt, auf wahnsinnig gastfreundliche Menschen zu treffen, aber auch meine Erwartungen wurden noch um ein Vielfaches übertroffen. Wenn man nur ein wenig verloren in der Teheraner Metro-Station stand, wurde man direkt von ein paar Einheimischen (Männer sowie Frauen) unter die Fittiche genommen. Nicht nur wurde einem der Weg zu der gewünschten Destination detailliert beschrieben: Es passierte nicht selten, dass man von Einheimischen bis zum gewünschten Zielort begleitet wurde.
Wie bereits erwähnt, hat die Gastfreundschaft der Iraner alle meine Erwartungen bei Weitem übertroffen. Wie geschockt muss erst jemand sein, der mit einer beschränkten und von den westlichen Medien geprägten Brille auf das Land blickt und dann solche Erfahrungen macht? Vielleicht wird dieser Mensch beim Erfahren der Warmherzigkeit der Menschen das Gefühl haben, das erste Mal richtig durch diese Brille sehen zu können. Sie wird nicht mehr beschlagen sein von all den Negativ-Schlagzeilen wie "Schurkenstaat" und "Atomarer Endgegner". Was metaphorisch ausgedrückt so übertrieben klingen mag, habe ich genau so wahrgenommen. Ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass mir die Menschen als Touristin immer sehr aufgeschlossen und interessiert begegnet sind - Männer wie Frauen. Als weibliche Touristin habe ich mich mindestens genau so sicher wie in den meisten europäischen Ländern gefühlt, in denen ich gereist bin. Wirkte man mal verloren, war man, wie bereits erwähnt, in der nächsten Sekunde bereits umzingelt von zahlreichen hilfsbereiten Iranern, die für ihre Nettigkeit keine Gegenleistung erwarteten. Man traf auf zahlreiche Menschen, die sich einfach nur freuten, auf Ausländer zu treffen und ihre Sprachkenntnisse in Englisch oder Deutsch (eine derzeit sehr beliebte Sprache) ein wenig in Einsatz zu bringen. Auch ohne diese aufgeschlossenen und freundlichen Menschen wäre Iran mit Sicherheit ein sehenswertes Reiseland, aber die vielen Menschen, die man getroffen hat, sind mit ein Hauptgrund dafür, dass man schnell dorthin zurückmöchte. Abgesehen davon fehlt mir die sagenhafte persische Küche jetzt schon.
*Wenn die Luft zum Atmen fehlt*
Mit meiner Reiseerfahrung möchte ich keinesfalls die politische Situation im Land herunterspielen. Auch wenn sich das Land seit Amtsantritt des Präsidenten Rohani im Jahre 2013 immer mehr dem Westen geöffnet hat und sich die Sittenpolizei etwas von den Straßen zurückgezogen hat, sprechen Berichte großer NGOs wie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International für sich: Zahlreiche Hinrichtungen, Folter und Verhaftungen - wegen Dingen, die man hier vor Ort als Lappalie abtun würde. Tätigkeiten, die für uns hierzulande als Selbstverständlichkeit angesehen werden, können einen dort in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Oft muss ich an eine junge Soziologie-Studentin zurückdenken, die ich in einem Hostel in Yazd kennengelernt habe. Sie hatte ihre Heimatstadt Maschhad hinter sich gelassen, weil der Ort ihr zu religiös und traditionell war. Wie viele junge Iraner trieb es sie in die Metropole Teheran. Auch wenn das Mädchen, das in etwa so alt war wie ich, sich dort freier bewegen konnte als in ihrer Heimatstadt, hatte sie das Gefühl, als ob sie in dem Land eingehen würde. Ohne, dass ich sie danach fragte, berichtete sie von dem beklemmenden Gefühl, was viele junge Leute (insbesondere Frauen) in Iran verspüren. Ein anderer Mann, dem ein kleiner Imbiss in Teheran gehörte, fragte mich und meine Reisebegleitung, wie uns das Land gefiel, woraufhin wir anfingen, von den Menschen und dem Essen zu schwärmen. Aber auch er lenkte das Thema schnell auf die Regierung und beteuerte, wie unzufrieden er mit der politischen Situation in seinem Land sei. Er fand es jedoch wichtig zu betonen, dass eben dies zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind: Politik und Gesellschaft. Ich stimme ihm da zu hundert Prozent zu.
*Die "westliche Brille"*
Mir ist bewusst, dass man als Tourist auch nur einen kleinen Einblick in das Geschehen vor Ort bekommt, und ich möchte mir nicht ansatzweise anmaßen, dass ich nun das Große und Ganze kennengelernt hätte. Ich finde es jedoch wichtig auszudrücken, wie verzerrt und beschränkt unser Bild der iranischen Gesellschaft im Westen aufgrund des "medialen Bombardements" oftmals ist. Dieses Land ist so reich an Kunst und Kultur, an fröhlichen und aufgeweckten jungen Menschen, an einer atemberaubenden Natur und historischen Schätzen. All jenen, die Iran als Reiseland nicht mit ihrem moralischen Gewissen vereinbaren können, möchte ich folgende Frage stellen: In welches Land kann man heutzutage schon guten Gewissens reisen? Selbst das Fliegen an sich, was für uns mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit gehört, ist doch schon an sich problematisch, aufgrund des immer größer werdenden ökologischen Fußabdruckes, den wir auf der Welt hinterlassen. Ob man sich nun aber dafür entscheidet, den Massen-Tourismus in Thailand zu unterstützen oder eben in ein politisch schwieriges Land im Nahen Osten zu reisen: Ganz guten Gewissens kann man das meiner Meinung nach nie tun, aber ich finde, letztendlich sollte mit diesem Bewusstsein die Neugier und Wissbegierde überwiegen (selbstverständlich sollte man jedoch das Risiko abwägen und Gefahren für sich und andere überwiegend ausschließen können).
Neben zahlreichen tollen Menschen, die ich auf meinem kurzen Trip auf der Reise kennengelernt habe, ist mir der Satz eines Mexikaners, der kürzlich seinen Job gekündigt hat und nun mit seiner Frau um die Welt reist, im Kopf geblieben: "Reisen ist wie wieder Kind sein. Man sieht wieder alles zum ersten Mal." Ich denke, dass es im Endeffekt darum geht: Kinder sind vorurteilsfrei und nehmen alles völlig unvoreingenommen wahr. Davon sollten wir uns öfter mal eine Scheibe abschneiden.
Autorin / Autor: Deniz Marina - Stand: 14. Juni 2017