Kein Raum für politische Bildung

Studie zu Politikunterricht: Oberstufe schneidet schlechter ab als Berufsschule

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat? Wer wählt den oder die Bundeskanzlerin? Wie reicht man Petitionen ein, und was passiert, wenn ich nicht zur Wahl gehe? Solche und ähnliche Fragen sollten wir eigentlich als Bürger:innen in einem demokratischen System beantworten können. Und ein guter Ort, um das zu lernen, ist natürlich erstmal die Schule. Doch wie eine neue Studie herausfand, wird Schüler:innen der Oberstufe von Gymnasien und Gesamtschulen an der Schwelle zur Wahlberechtigung deutlich weniger politische Bildung angeboten als an Berufsschulen.

„Die erhobenen Daten bestätigen erneut, dass schulische politische Bildung in Deutschland und innerhalb der einzelnen Länder geringgeschätzt und ungleich behandelt wird“, stellt Professor Dr. Reinhold Hedtke, Leiter der Studie, fest.  Zusammen mit seinen Kolleg:innen Mahir Gökbudak und Professor Dr. Udo Hagedorn wollte er herausfinden, wie der zeitliche Umfang und die Platzierung des Leitfaches der politischen Bildung in den Sekundarstufen I und II sowie in der Berufsschule in Deutschland aussieht. Dafür analysierten sie die Stundentafeln der jeweiligen Schulformen. Das Ergebnis: Während die Stundentafeln für die Berufsschule bundesweit für jedes Jahr obligatorischen Politikunterricht vorsehen (mit Ausnahme von Hamburg), gilt dies nur in sechs Ländern auch für die gymnasiale Oberstufe. In der Berufsschulausbildung sind die Quoten für politische Bildung also deutlich höher, verbindlicher und durchgängiger als in der Sekundarstufe II von Gymnasium und Gesamtschule.

Kein Raum für politische Bildung

Mehr als ein Drittel der Bundesländer verzichtet in der Oberstufe sogar vollkommen auf politische Bildung. Nur drei Bundesländer räumen dem Leitfach der politischen Bildung deutlich mehr als drei Prozent der Gesamtwochenstunden ein. „Die Lernzeiten für die politische Bildung variieren unerklärlich stark über die Länder hinweg, aber auch zwischen den Schulformen innerhalb eines Landes“, sagt Professor Dr. Reinhold Hedtke und ergänzt: „Das Recht der angehenden Wähler:innen auf politische Bildung wird an beruflichen und an allgemeinbildenden Schulen sehr unterschiedlich realisiert.“

„Von einer Gleichwertigkeit der politischen Bildung nach Schulstufen, Schulformen und Bundesländern kann keine Rede sein“, stellt Mahir Gökbudak fest und ergänzt: „Politisch-demokratische Kompetenzen sind wesentliche Voraussetzungen für die fortlaufende Erneuerung von Demokratie in Politik und Gesellschaft“. Die Sozialwissenschaftler erhoffen sich auf Grundlage der Studienergebnisse eine Anpassung der Stundentafeln auf Grundlage der Studienergebnisse. Hedtke: „Es muss wenigstens die Möglichkeit bestehen, für die Jugendlichen durchgehend einen Raum für politische Bildung zu schaffen, in dem sie sich mit politischen Themen beschäftigen können. Nicht mal das ist in allen Bundesländern gewährleistet.“

Politische Bildung in der Sekundarstufe I

In der Sekundarstufe I zeichnet sich ein ähnliches Bild wie in den vergangenen Erhebungen ab und es hat sich kaum etwas verbessert. Das Schlusslicht bilden seit fünf Jahren Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Seit 2017 haben sich Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sowie geringfügig auch Sachsen-Anhalt verbessert. „Wir sehen kleine positive Entwicklungen, aber nur in einzelnen Ländern und nicht als allgemeiner Trend“, hält Hagedorn fest. „Die alarmierenden Punkte aus unseren vorherigen Rankings wurden durchaus wahrgenommen, aber zu zögerlich und nicht flächendeckend bearbeitet.“

Politik- und Demokratiekompetenz

Laut den Wissenschaftlern müsse die Bildungspolitik sich kritische Fragen zur Chancengleichheit bei der Entwicklung von Politik- und Demokratiekompetenz in der Schule stellen lassen. Eine nationale Strategie für politische Bildung sei in Deutschland nicht in Sicht. Deshalb regen sie eine bildungspolitische Debatte darüber an, inwieweit die starke Ungleichheit der schulischen politischen Bildung der jungen Generation bekämpft werden kann und damit ein gleiches Recht auf politische Bildung für die Entwicklung demokratischer Persönlichkeiten gewährleistet wird. Ein gleiches Zeitbudget für politische Bildung für alle Schüler:innen sei hierfür eine zentrale Voraussetzung.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung (idw) - Stand: 9. Januar 2023