Kommen die Frauen, gehen die Männer
Schweizer Studie fand heraus, dass Männer selektiv Berufe verlassen, die vermehrt von Frauen ergriffen werden
Wir leben im 21. Jahrhundert, aber auf dem Arbeitsmarkt gibt es noch immer eine starke Geschlechtertrennung. So sind zum Beispiel viele Pflegeberufe weiblich dominiert, während viele Handwerksberufe vor allem von Männern ausgeübt werden. Bisher wurde das so erklärt: 1. Männer haben Vorteile, in besser bezahlte Berufe zu kommen; 2. Die Berufswahl folgt genderstereotypen Fähigkeiten – Männer arbeiten zum Beispiel in mathematischen oder technischen Berufen, während Frauen in sozialen oder feinmotorischen Berufen arbeiten; 3. Die Arbeitsteilung bei heterosexuellen Paaren führt oft dazu, dass Frauen eher Berufe wählen, in denen flexible oder reduzierte Arbeitszeiten möglich sind.
Es gibt aber auch Beispiele für geschlechtertypische Berufe, auf die diese Faktoren nicht zutreffen. Andere Berufe wie zum Beispiel Lehrer:in oder Apotheker:in ändern ihre Geschlechterzusammensetzung mit der Zeit, obwohl sich der Beruf selbst kaum verändert. Auch gibt es innerhalb von Berufen geschlechtsspezifische Spezialisierungen, die sich nicht einfach erklären lassen: So arbeiten in der Radiologie eher Männer und in der Dermatologie eher Frauen. In der Genderforschung gibt es daher die Theorie, dass Männer selektiv Berufe und Spezialisierungen verlassen, die von mehr Frauen neu aufgenommen werden.
Per Block, Soziologie-Professor an der Universität Zürich, hat die Theorie mithilfe neuer Methoden aus der Netzwerkforschung empirisch überprüft. Der Arbeitsmarkt wird dabei als ein Netzwerk verstanden, in dem Arbeitnehmende mit ihren Berufswechseln verschiedene Berufe verbinden. Dadurch kann analysiert werden, ob Männer selektiv Berufe verlassen, in die mehr Frauen vordringen.
Verlassen Männer Berufe, die sich feminisieren?
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Männer seltener in Berufen bleiben, in die mehr Frauen wechseln. Die Studie vergleicht zum Beispiel zwei hypothetische Berufe, die in allen Berufsmerkmalen identisch sind und sich nur darin unterscheiden, dass in einem 25 Prozent und im anderen 75 Prozent Frauen arbeiten. «Die Analyse zeigt, dass Männer mit doppelter Wahrscheinlichkeit den sich feminisierenden Beruf verlassen», sagt Prof. Block. Die Auswirkung dieses Verhaltens wird in einer Simulationsstudie erforscht, in der Frauen und Männer sich nicht vom Geschlecht der anderen Arbeitnehmer in Berufen beeinflussen lassen. Würden tatsächlich nur berufsspezifische Attribute (wie Lohn, Flexibilität, oder Charakteristiken der Tätigkeit) die Berufswechsel beeinflussen, sagt die Simulationsstudie eine Abnahme der Geschlechtertrennung in Berufen um 19-28 Prozent voraus.
Der Ursprung stereotyper Berufsbilder
Laut der Studie wird also Geschlechtertrennung nicht nur von geschlechtstypischen Berufseigenschaften verursacht, sondern auch von Männern (und Frauen), die sich bewusst oder unbewusst gegen eine Durchmischung wehren. Die Wahrnehmung von Berufen ist möglicherweise also auch eine Konsequenz der Geschlechterzusammensetzung statt nur ihre Ursache. Per Block gibt ein Beispiel: «Der Pflegeberuf wird eher mit stereotyp weiblichen Attributen beschrieben: sozial, empathisch, kümmernd. Wären die meisten Pflegepersonen Männer, würden wir den Beruf vielleicht ganz anders wahrnehmen, zum Beispiel als verantwortungsbewusst, durchsetzungsstark oder körperlich anstrengend.»
Wollen wir also wirklich eine gleichberechtigte und nicht-stereotype Berufswelt erschaffen, sollten wir vielleicht zukünftig kritischer mit Geschlechterzuschreibungen umgehen und auch den Umgang zwischen Frauen und Männern in Teams genauer beleuchten. Denn da scheint ja etwas im Argen zu liegen, wenn die einen gehen, sobald die anderen kommen ;-).
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 27. Januar 2023