Maddie Wright lebt in London. Wie viele Menschen Mitte 20 versucht sie, sich selbst und ihre Wünsche besser zu verstehen. Das ist gar nicht so leicht – vor allem wenn einem von jeher gesagt wird, wer man ist: Maame, eine Frau. Schon als Kind ist Maddie Maame. Sie kümmert sich, übernimmt Verantwortung und hält das Bild einer funktionalen Familie aufrecht.
Denn neben ihrem Vollzeitjob als persönliche Assistentin hat Maddie quasi einen Zweitjob als Pflegekraft für ihren demenzkranken Vater, während ihr Bruder sich einen Lenz in der Musikbranche macht und ihre Mutter einen großen Teil des Jahres in Ghana verbringt, wo sie ein Hotel führt. Maddie ist also viel allein.
Und von ihr wird viel erwartet: Sie soll sich nicht nur um ihren Vater kümmern, ohne zu murren, in die Kirche gehen, einen christlichen Mann finden (am besten aus Ghana), ihre Familie regelmäßig mit Geld unterstützen, sondern vor allem: Nicht mit anderen Menschen über die Familienprobleme sprechen. Oder generell über Probleme.
Dass die nicht kleiner werden, wenn man sie immer weiter ignoriert, wird Maddie irgendwann schmerzlich bewusst. Während andere Menschen von Depressionen oder Burnout sprechen würden, hat Maddie vor allem eine Sorge: Gar nicht erst darüber zu sprechen. Denn wenn man nicht darüber spricht, dann gehen die Gedanken vielleicht weg, die Lustlosigkeit, dieses Gefühl, das Leben zu verpassen, weil sie die Abende zu Hause bei ihrem Vater verbringt, statt auszugehen. Die Erfahrungen, die ihr fehlen und nach denen sie sich sehnt: Alleine wohnen, selbst entscheiden, sich verlieben und in Freundschaften aufblühen.
All das rückt in greifbare Nähe als ihre Mutter nach Hause kommt. Sie zieht in eine WG, lernt den charmanten Ben kennen und beginnt, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Denn ausgehen, trinken und rauchen, das ist doch genießen, oder?
So viel Spaß es Maddie zunächst macht, neue Erfahrungen zu sammeln, so schnell stürzt auch ihr Kartenhaus zusammen. Mit ihrer Familie klappt es auch auf Distanz nicht so recht, ihre Mitbewohnerinnen entpuppen sich schnell als ziemlich oberflächlich und Vollzeitjobs sind leider längt nicht so beständig, wie sie es sich wünschen würde.
Vor dem Scherbenhaufen stehend, der ihr Leben war, fängt Maddie an zu reden. Über Dinge, die in ihrer Familie schiefgelaufen sind. Situationen, in denen sie Mikroaggressionen von Ben und ihrer WG erlebt, rassistisch behandelt und abgewertet wurde. Das erste Mal in ihrem Leben setzt sie Grenzen, achtet auf sich und das, was sie braucht und fängt an, aus ihrem Kokon zu kriechen.
Jessica George zeichnet mit Maddie das Bild einer angepassten jungen Frau, die es allen recht machen möchte, immer Gefallen und bloß niemanden enttäuschen will. Und die sich dabei selbst immer weiter verliert. Aber im Verlieren liegt auch die Möglichkeit, sich neu zu finden. Als junge Schwarze Britin kämpft Maddie mit Vorurteilen und Chancenungleichheit. George beschreibt rassistische Mikroaggressionen so, dass es einem beim Lesen den Magen verknotet. Es geht nicht um Schläge auf der Straße oder offen rassistische Beleidigungen. Es geht um den Zugang zu Räumen, Jobs und Wohnungen. Um Annahmen, die Menschen über sie treffen, ohne sie zu kennen und Dinge, die sie von ihr erwarten, weil sie eine Schwarze Frau ist. Maddie wächst in ihre eigene Widerständigkeit hinein und wir als Leser:innen können ihr dabei zusehen. Das stimmt nachdenklich, ist manchmal bedrückend und stellenweise unterhaltsam. Es gibt Situationen, in denen man sie packen und wegtragen möchte, schütteln oder umarmen.
Leider sind die anderen Figuren in dem Roman für mich nicht allzu plastisch geworden. Wir lernen Maddies Familie, Kolleg:innen und Freundinnen zwar kennen, aber in sie hinein konnte ich mich nicht fühlen. Ich weiß nicht, ob es an dem Schreibstil lag oder an der Beschreibung der Figuren, sie sind mir alles in allem ein wenig fremd geblieben. Hier und da hätte für mich der Roman auch noch ein paar mehr Überraschungen bereithalten können. Ich fand einige Handlungsstränge ein wenig zu vorhersehbar. Und nach den Lobpreisungen, die ich über das Buch gelesen habe, habe ich eine Schippe mehr intersektionalen Feminismus erwartet.
Erschienen bei btb
Autorin / Autor: Karla - Stand: 12. Juni 2024