Die Mechanik der Kreativität
Studie entzaubert den Prozess kreativer Impulse und macht sichtbar, welche Wege Geistesblitze nehmen
Was treibt uns eigentlich dazu an, immer neue Ideen zu entwickeln, anstatt uns mit dem Bewährten zufrieden zu geben? Was löst den Wunsch nach Innovation aus, auch auf die Gefahr hin, grandios zu scheitern? Es ist unser Streben nach Kreativität. Wie diese entsteht und was sie befeuert, ist noch recht wenig bekannt, deshalb forschte nun ein Team für kognitive Neurowissenschaften um Alizée Lopez-Persem zu dem Thema. Ihre zugrundeliegende Definition: "Kreativität ist die Fähigkeit, in einem bestimmten Zusammenhang originelle und relevante Ideen zu entwickeln, um ein Problem zu lösen oder eine Situation zu verbessern." Für Lopez-Persem ist Kreativität eine Schlüsselfähigkeit, um sich an Veränderungen anzupassen oder sie zu anzustoßen".
Kreativitäts-Prozess ein trockener Vorgang?
Laut derzeitigem Forschungsstand besteht der kreative Prozess aus zwei aufeinander folgenden Phasen: der Entwicklung neuer Ideen und ihrer Bewertung. Wie diese Bewertung genau vonstatten geht und was dazu führt, dass wir die eine Idee weiterführen, während wir die andere verwerfen, ist allerdings noch unklar. "Wir müssen unsere Ideen bewerten, um die besten auszuwählen", erklärt Lopez-Persem. Und dies geschehe mithilfe einer Abfolge von Operationen, an denen verschiedene Gehirnnetzwerke beteiligt sind. Diese Sichtweise bestätigt nicht gerade die gängigen Vorstellungen von Kreativität, die gerne als ein Impuls dargestellt wird, der uns ergreift, mitreißt und überwältigt. Laut den Forscher:innen ist der Kreativitäts-Prozess ein eher trockener Vorgang mit drei grundlegende Dimensionen, die mit mathematischen Werkzeugen modelliert werden können: die Erkundung, die auf persönlichem Wissen basiert und es ermöglicht, sich mögliche Szenarien vorzustellen; die Bewertung, die ein Urteil über die Qualitäten einer Idee fällt und die Auswahl, die es uns ermöglicht, uns letztlich für ein Konzept zu entscheiden.
Die Wertschätzung einer Idee
Um die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen drei Dimensionen zu verstehen, bildeten die Forscher sie in einem Computermodell nach, das sie mit dem tatsächlichen Verhalten der für die Studie rekrutierten Personen verglichen. 71 Teilnehmer:innen wurden dann zu freien Assoziationstests eingeladen, bei denen sie Wörter auf möglichst unübliche Weise zuordnen sollten. Anschließend sollten sie bewerten, wie sehr ihnen diese Assoziationen gefielen und ob sie ihnen relevant und originell erschienen.
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die subjektive Bewertung von Ideen eine wichtige Rolle bei der Kreativität spielt", schlussfolgerte die Neurologin Emmanuelle Volle. Das Team konnte offenbar einen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit, mit der neue Ideen produziert werden, und dem Grad der Wertschätzung dieser Ideen durch die Teilnehmer:innen erkennen. Andres ausgedrückt: Je mehr man die Idee, die man gerade im Kopf hat, mag, desto schneller entwickelt man sie weiter. "Stellen Sie sich zum Beispiel einen Koch vor, der eine Soße zubereiten will: Je mehr ihn die Geschmackskombination in seinem Kopf verführt, desto schneller wird er sich auf die Zutaten stürzen!" bebilderte Emmanuelle Volle die Tatsache.
Originell oder nützlich?
Wie eine Idee bewertet wird, hängt laut den Forscher:innen von zwei persönlichen Haupt-Kriterien ab: Wird die Idee als originell oder nützlich angesehen? Das Team zeigte, dass die Bedeutung dieser beiden Kriterien von Person zu Person unterschiedlich ist. "Es hängt von der Erfahrung, der Persönlichkeit und wahrscheinlich auch von der Umgebung ab", so Volle. Manche bevorzugen die Originalität einer Idee, andere ihre Nützlichkeit. Die Vorliebe für diese beiden Pole spiele jedoch eine Rolle beim kreativen Denken. So habe sich gezeigt, dass Personen, die zu originellen Ideen neigen, auch die einfallsreicheren Konzepte vorschlagen.
Die gemessenen Ergebnisse unterstreichen laut dem Forschungsteam die mechanische Natur des kreativen Impulses. Langfristig könne es sogar möglich sein, die Mechanismen der Kreativität auf der Ebene der Neuroinformatik genau zu beschreiben und damit das Klischee zu widerlegen, dass kreatives Denken ein mysteriöser Prozess ist, über den wir keinerlei Kontrolle haben.
"In Zukunft wollen wir verschiedene Kreativitätsprofile in Abhängigkeit von den Tätigkeitsbereichen der Menschen definieren. Hat man unterschiedliche kreative Vorlieben, wenn man Architekt, Software-Ingenieur, Illustrator oder Techniker ist?" ergänzt Alizée Lopez-Persem. "Welche Umgebungen fördern die Kreativität, und welche hemmen sie? Könnten wir unser kreatives Profil durch kognitive Übungen verändern oder umerziehen, um es an persönliche Ambitionen oder Bedürfnisse anzupassen? All diese Fragen bleiben offen, aber wir haben die feste Absicht, sie zu beantworten".
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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung