Aus dem Himmel gefallen
Mein erster Tandem-Fallschirmsprung
Manchmal braucht es Jahrzehnte, bis man seine Träume verwirklicht, manchmal bleiben Träume Träume. Den Traum vom Fliegen habe ich mir selbst erfüllt, ziemlich spontan: durch einen Fallschirmsprung.
Und jetzt stehe ich da und frage mich, ob das wirklich eine gute Idee war. Meine Knie schlottern, als wir am Flugplatz ankommen. Wie werde ich mich erst im Flugzeug fühlen, wenn wir immer höher steigen und der Absprung kurz bevor steht? Doch erstmal folgt die Einweisung durch meinen Tandemmaster: beim Absprung Kopf in den Nacken, Arme vor der Brust verschränken, ins Hohlkreuz gehen, nach einem Zeichen dann die Arme ausweiten, Beine angewinkelt, Fersen ans Gesäß pressen usw. Ob mein Kopf das im freien Fall wohl noch behält? Und mein Körper es umsetzen kann? Bald hat das gespannte Warten ein Ende. Mein Tandemmaster schnallt mir das Gurtzeug um. Knalleng, aber gerade das gibt ein sicheres Gefühl. Gemeinsam mit acht anderen Springern schlendern wir zum Flugzeug. Der Propeller läuft und wir steigen ein. Dicht, wie in einer Sardinenbüchse, sitzen wir in zwei Reihen hintereinander. Jetzt geht’s los. Etwa 20 Minuten werden wir brauchen, bis wir die Zielhöhe von 4200 Metern erreicht haben. Dann werde ich tatsächlich aus diesem Flugzeug springen. Meine beste Freundin Anna sitzt hinter mir und meinem Tandemmaster. Ich drehe mich um und wir grinsen uns freudestrahlend an. Gespannt schaue ich auf den Höhenmesser meines Nachbarmannes. Erst 1000 Meter geschafft.
Die Stimmung im Flugzeug ist gut. Wir scherzen und die Laola-Welle geht durch die Reihen. Von Angstschweiß ist nichts zu riechen. Die Gelassenheit der anderen vermittelt auch mir Sicherheit. Dennoch kribbelt es ein wenig in meiner Magengegend. Das erwartete Gefühl, vor Angst zu sterben, bleibt aber aus. Mein Blick geht immer wieder nach draußen. Die Erde gleicht einem abstrakten Gemälde aus grünen, blauen und braunen Flächen. Ganz schön irreal.
So fühlt es sich also an, wenn man aus dem Himmel fällt
Dann ist es so weit. Der Pilot drosselt den Motor und beschleinigt dadurch meinen Herzschlag. Viel Zeit zum Aufgeregtsein bleibt allerdings nicht. Die Luke wird geöffnet. Nach und nach, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, lassen sich die erfahrenen Springer aus dem Flugzeug fallen. Jetzt bin ich dran. Der Ausstieg geht ganz schnell. Kopf in den Nacken, Hände überkreuzt an die Schultergurte und schon stürzen wir in die Tiefe. Mit fast 200 Kilometern die Stunde rase ich dem Erdboden entgegen. Deutlich spüre ich den Luftwiderstand auf meinem Körper. Ich habe viel mehr das Gefühl zu fliegen, in der Luft zu schweben, als zu fallen. Es fühlt sich anders an als alles, was ich bisher erlebt habe. Auch anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Anspannung ist weg. Geblieben sind Euphorie und pure Begeisterung. Wie schön die Welt doch von oben aussieht.
Nach etwa 50 Sekunden freiem Fall zieht der Tandemmaster an der Schnur und löst den Fallschirm aus. Von der Waagerechten geht’s in die Senkrechte. Wir werden langsamer, gleiten wie ein riesiger Vogel durch die Luft. Jetzt habe ich Zeit, mir in Ruhe die Umgebung anzugucken. Die Häuser, Seen, Maisfelder kommen gemächlich näher. Als ich Anna knapp neben uns fliegen sehe, ist die Freude groß. Locker im Gurtzeug hängend, winken wir uns zu. Unsere Tandemmaster gönnen uns und sich selbst den Spaß und fliegen mit uns, parallel zueinander, ein paar rasante Spiralen. Eine scharfe Kurve rechts, eine scharfe Kurve links herum. Die Fliehkräfte wirken auf meinen Körper als wir uns mit Schwung im Kreis drehen.
Nach etwa sechs Minuten am Fallschirm landen wir weich auf dem Boden. Die Erde hat mich wieder. Von meinem Tandemmaster abgeschnallt, renne ich auf Anna zu, sie mir entgegen. In der Mitte treffen wir uns, fallen uns hüpfend in die Arme und drehen uns, jetzt ohne Fallschirm, um die eigene Achse. Von mir aus könnte jeder Tag so perfekt sein! Die Flugzeit war viel zu kurz, doch die Freude wird wohl noch ewig anhalten.
Autorin / Autor: jennyh - Stand: 8. Juni 2011