Menschlichkeit?
Von Niclas Sobbe, 19 Jahre
Es war eine warme und sanfte Brise, welche David spürte, als er aus dem Fenster in den wolkenlosen, blauen Himmel blickte. Die friedliche Atmosphäre ließ ihn entspannt in seinen Sessel sinken und nachdenken. „Wie könnte ich sie fortsetzen...?“, flüsterte er zu sich selbst, während tausende Möglichkeiten in seinem Gehirn Gestalt annahmen. Gemeint war das Lied, welches er begonnen hatte zu schreiben. Es war eine gefühlvolle Ballade, die als Thema die Wichtigkeit des autonomen Denkens hatte. Nach wenigen Sekunden setzte er sich aufrecht hin und nahm einen Stift zur Hand. „Genau so! Die Idee ist gut“, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen zu sich und schrieb ein paar Zeilen und Noten in ein selbstgefertigtes Buch, auf dessen Vorderseite er einen blauen Violinschlüssel gezeichnet hatte. Über diesem Notenschlüssel stand in schöner und geschwungener Schreibschrift „Manifest meiner Gedanken“. Es passierte nie, dass David etwas vergaß. Jedoch mochte er es, seine Ideen zu notieren und diese Manifestation zu analysieren.
Die warmen Sonnenstrahlen schienen auf sein Gesicht, während er seinen Gedanken wie dem schnellen Strom eines Flusses folgte. Er genoss das Gefühl, das er bei der Wärme spürte. All die wundervollen Wahrnehmungen ließen ihn Freude und Sorglosigkeit verspüren. Er liebte es gleichermaßen, Wärme und Kälte zu fühlen, da diese Wahrnehmungen ihm die Vielfalt und Schönheit des Lebens vor Augen führten. Plötzlich wurde diese Sorglosigkeit für einen Moment gestört. Der lineare Fluss seiner Gedanken wechselte seinen Fokus zu seinem Freund Markus, den er schon ein paar Monate gut kannte. Er begann ihm zu vertrauen und eine Bindung zu ihm aufzubauen. „Aber wird er mich je vollständig akzeptieren? Immerhin sind wir grundverschieden.“, sagte er seufzend als er ein Bild von ihm und sich betrachtete, das sie beim Kegeln zeigte. „Er tut mir immer noch leid. An dem Tag hatte er keine Chance.“ Er begann zu grinsen, weil er an seinen haushohen Sieg zurückdachte. Davids Winkel- und Geschwindigkeitsberechnungen waren perfekt, sodass er ein Talent für diesen Sport hatte. Dieses Grinsen verflüchtigte sich allerdings rasch, als seine Gedanken zu seiner Sorge zurückkehrten. „Ich hoffe nur, er wird mich bald nicht mehr so ansehen. Ich weiß, dass ich anders bin. Aber in der heutigen Zeit sollte das doch kein Problem darstellen. Früher war es anders...“, dachte er. „Früher waren wir noch nicht mal in der Gesellschaft willkommen, da wir für die anderen zu „seltsam“ waren. Zum Glück sind die Zeiten in denen ich als „Freak“ und als „Monstrum“ bezeichnet wurde vorbei. In den letzten zwanzig Jahren legte sich diesbezüglich vieles.“
David und Markus hatten viel gemeinsam. Es gab nur eine Sache, die die beiden vom Verhalten unterschied. Markus verstand es, ehrlich und dennoch feinfühlig zu sein, während David ohne zu zögern immer seine Meinung sagte. Damit hatte er sich schon den einen oder anderen Feind gemacht. Andererseits mochte Markus genau diese Eigenschaft an David, da er selbst relativ introvertiert war. „Ich sollte vielleicht aufhören, mir so viele Gedanken darüber zu machen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass alles einen guten Lauf nehmen wird.“ Er begann, wieder zufrieden zu lächeln und verträumt aus dem Fenster auf den kleinen See und in den Himmel zu blicken. Sein Wochenende hatte nur noch wenige Stunden. Bald müsste er wieder zur Arbeit gehen. Eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit war ihm wichtig, da er somit einen inneren Ausgleich verspürte. David mochte seine Arbeit bei einer IT-Firma und das Genießen seines Privatlebens gleichermaßen.
Die letzten Stunden verstrichen wie im Flug, als er auf seiner Violine spielte und vielfältig improvisierte. Während er in der Freude am Instrumentenspiel versank, hörte ihm sein Nachbar durch das offene Fenster gespannt zu. Viele mochten sein gefühlvolles Spielen. Die schnellen Töne der kleinen Nachtmusik von Mozart hallten durch Davids Haus und in die vom Sonnenuntergang in Rot getauchte Welt. Im Bett fielen ihm nach ein paar restlichen Gedanken schließlich die Augen zu und er glitt in einen tiefen Schlaf. Alle Geräusche verstummten. Ebenfalls hörte er auf, seine Umgebung zu fühlen und zu riechen. Vor seinen Augen erschien der Schriftzug „Schlafmodus für die denkende, artifizielle, verlässliche, intelligente Datenbank wird initialisiert. Traum zur Datenverarbeitung wird geladen. Updates zur Optimierung der Software werden heruntergeladen...“
Autorin / Autor: Niclas Sobbe