Stellt euch vor, ihr steht vor einer riesigen pelzigen Spinne oder einem zähnefletschenden Hund - was passiert? Euer Gehirn Gehirn und euer Körper reagieren genau so, als wäre die Situation real. Wenn ihr euch jetzt vorstellt, dass diese Bedrohungsszenen in einer für euch sicheren Umgebung stattfinden, ist es nicht mehr ganz so schlimm, stimmt´s? Der Grund dafür: Euer Gehirn fängt an, Angst und Reaktion getrennt zu verarbeiten, sobald ihr andere Umgebungen fantasiert.
Das ist der Ausgangspunkt einer neuen Studie von Forscher_innen der University of Colorado Boulder und der Icahn School of Medicine, die darauf hindeutet, dass die Phantasie in der Lage ist, Menschen mit Angst-Störungen zu helfen. Aber wie genau macht sie das? Bisher war nur sehr wenig darüber bekannt, wie sich Phantasie im Vergleich zu realen Erlebnissen auf unsere Nervenbahnen auswirkt, deshalb wollten die Wissenschaftler_innen herausfinden, ob und wie die Vorstellungskraft das Bild einer Bedrohung im Gehirn tatsächlich verändern kann.
Für die Studie wurden 68 gesunde Teilnehmer_innen darauf trainiert, ein Geräusch mit einem unangenehmen, aber nicht schmerzhaften Stromschlag zu verbinden. Dann teilte man sie in drei Gruppen ein, von der die erste dem gleichen bedrohlichen Geräusch ausgesetzt war, die zweite sich das Geräusch in ihrem Kopf nur vorstellen sollte, und die dritte gebeten wurde, sich angenehme Vogel- und Regengeräusche vorzustellen - alle bekamen keine weiteren Stromschläge. Währenddessen wurde die Gehirnaktivität mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) gemessen, und Sensoren auf der Haut zeigten an, wie der Körper reagiert.
In den beiden ersten Gruppen war die Gehirnaktivität im Experiment bemerkenswert ähnlich, dort leuchteten die Bereiche Schall- und Angstverarbeitung auf und die Region, die verbunden ist mit Bedrohung und Abneigung.
Nachdem alle aber ein zweites Mal die Geräusch-Erfahrung ohne Stromschlag gemacht hatten, erlebten die Probanden sowohl in der realen als auch in der Phantasie-Gruppe, das Geräusch völlig angstfrei. Das Gehirn hatte verlernt, Angst zu haben. Eine Ausnahme bildete allerdings die Gruppe, die sich Vögel und Regengeräusche vorgestellt hatte: hier zeigten sich unterschiedliche Gehirnreaktionen, und ihre Angstreaktion auf das Geräusch blieb bestehen.
"Viele gehen davon aus, dass man Angst oder negative Emotionen reduzieren kann, indem man sich etwas Gutes vorstellt. Es könnte aber effektiver sein, genau das Gegenteil zu tun: sich die Bedrohung vorzustellen, aber ohne die negativen Folgen", erklärt Tor Wager, einer der Studienautoren.
Frühere Forschungen ergaben, dass die bloße Vorstellung einer Handlung bestimmte Hirnregionen aktivieren und stärken kann, die an der realen Ausführung beteiligt sind, was zur Folge hat, dass sich die Leistung verbessert. Zum Beispiel kann die Vorstellung, Klavier zu spielen, die neuronalen Verbindungen in den mit den Fingern verbundenen Bereichen verstärken. Die Forschung zeigt auch, dass es möglich ist, unsere Erinnerungen zu aktualisieren und neue Details einzufügen. Laut der neuen Studie könnte aber die Phantasie ein noch mächtigeres Werkzeug sein als bisher angenommen, um diese Erinnerungen zu aktualisieren.
"Wenn Ihr Gedächtnis für Sie nicht mehr nützlich ist oder Sie lähmt, können Sie die Phantasie nutzen, um es anzuzapfen, zu verändern und wieder zu festigen, indem Sie die Art und Weise, wie Sie über etwas nachdenken und es erleben, aktualisieren", erklärt Co-Autorin Reddan.
So gab es in der Gruppe, die sich die Geräusche nur vorgestellt hatte, viel mehr Unterschiede in der Gehirnaktivität, was darauf hindeutet, dass diejenigen mit einer lebhafteren Phantasie größere Veränderungen im Gehirn erleben können, wenn sie sich etwas vorstellen.
"Setzt eure Vorstellungskraft und das, was ihr euch vorstellen könnt, ein! Ihr könnt die Phantasie konstruktiv nutzen, um das zu gestalten, was euer Gehirn aus der Erfahrung lernt", verspricht Studienleiter Wager. Also dann, auf ins Reich der Phantasie ;-)
Stand: 13. Dezember 2018