Mitfühlen ist nicht gleich verstehen
Studie: Überdosis Empathie kann Perspektivenübernahme behindern
"Ich kann dich verstehen" - das ist wohl ein oft gesagter Satz, vor allem von der guten Freundin, die ganz intensiv mitfühlt, wenn wir unglücklich sind. Dabei könnte möglicherweise gerade ihr großes Mitgefühl dazu führen, dass sie uns eben gerade nicht versteht - zumindest auf der kognitiven Ebene. Das legt eine Studie nahe, die Anne Böckler und Philipp Kanske mit ihren Kollegen zusammen am Max-Planck-Institut in Leipzig im Rahmen einer groß angelegten Studie unter der Leitung von Tania Singer mit rund 200 Teilnehmern durchgeführt haben.
Die Wissenschaftler_innen wollten herausfinden, ob Menschen, die sich besonders gut in andere einfühlen können, auch besser in der Lage sind, die Absichten und Gedanken von anderen nachzuvollziehen. Beides sind wichtige Zutaten für das menschliche Miteinander. Wie sie aber zusammenhängen und in welchen neuronalen Netzen sie stattfinden, wurde bisher noch nicht erforscht.
Die Forscher_innen ließen also 200 Testpersonen mehr oder weniger emotionale Videos schauen und sollten dabei angeben, wie sehr sie mitfühlten, aber auch Vermutungen anstellen, was die gezeigten Personen in den Videos gedacht oder gemeint haben könnten. Dabei zeigte sich, dass besonders mitfühlende Teilnehmer_innen nicht notwendigerweise gut verstanden, was die gezeigten Personen gedanklich beschäftigt. Die Ergebnisse legen sogar nahe, dass überbordende Empathie in emotionalen Situationen das Verständnis sogar beeinträchtigen kann. So kann etwa die Aktivierung in der Insula, eines Teils des Empathie-relevanten Netzwerkes, bei manchen Menschen einen hemmenden Einfluss auf Gehirnareale haben, die für die Perspektivenübernahme relevant sind.
Nach Meinung der Autor_innen sind die Ergebnisse sowohl für die Neurowissenschaft als auch für die Anwendung in der Klinik wichtig. Wolle man Menschen in sozialer Kompetenz trainieren, dann müsse man die Bereitschaft, sich in andere einzufühlen und die Fähigkeit, andere kognitiv zu verstehen und deren Perspektive einzunehmen, gezielt und getrennt voneinander fördern.
Und was könnt ihr daraus schließen? Für unterschiedliche Bedürfnisse müsst ihr euch möglicherweise an unterschiedliche Menschen wenden: wenn ihr Trost, Mitgefühl und eine herzliche Umarmung braucht, dann sucht euch einen richtig empathischen Menschen. Wenn ihr Verständnis und Rat braucht, dann sucht euch jemanden, der gefühlsmäßig nicht so tief in der Sache drin steckt.
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 3. Mai 2016