Nicht heiß ist nicht kalt
Sprachstudie: Wir brauchen länger, um verneinte Sätze zu verstehen. Und die Verneinung wird häufig nur als Abschwächung, nicht als Gegenteil interpretiert
Wenn der Kaffee nicht heiß ist, ist er dann kalt? Oder lauwarm? Und wenn ein Buch nicht schlecht ist, ist es dann gut? Oder nur nicht ganz schlecht? So mittel?
Ein Team von Wissenschaftler:innen an der New York University hat sich damit befasst, wie Menschen Sätze wahrnehmen und im Gehirn verarbeiten. Das ist offenbar eine recht komplexe Aufgabe, mit der sich auch Künstliche Intelligenz schwertut. Denn ganz offensichtlich ist die Bedeutung von verneinten Adjektiven nicht einfach nur das Gegenteil des Verneinten.
In ihrer Studie führten Zuanazzi und ihre Kolleg:innen eine Reihe von Experimenten durch, um zu messen, wie die Teilnehmenden Sätze interpretierten, und überwachten auch die Gehirnaktivität der Teilnehmer:innen während dieser Aufgaben, um die damit verbundenen neurologischen Funktionen genau zu messen.
In den Experimenten lasen die Teilnehmenden auf einem Computermonitor adjektivische Ausdrücke mit und ohne Negation (z. B. „wirklich nicht gut“ und „wirklich sehr gut“) und bewerteten deren Bedeutung auf einer Skala von 1 („wirklich sehr schlecht“) bis 10 („wirklich sehr gut“) mit Hilfe eines Mauszeigers. Mit dieser Skala sollte u. a. festgestellt werden, ob Sätze mit Negation als das Gegenteil von Sätzen ohne Negation interpretierten - mit anderen Worten, ob sie „wirklich nicht gut“ als „schlecht“ interpretierten. Oder ob "wirklich nicht gut" eben doch etwas besser ist als "schlecht".
Negation verwenden, um klares Verständnis zu verschleiern
In diesem Fall fanden die Forscher:innen heraus, dass die Teilnehmenden länger brauchten, um Sätze mit Negation zu interpretieren als Sätze ohne Negation. Dabei deuteten die Cursorbewegungen auf der Skala auch daraufhin, dass verneinte Sätze schlussendlich meist als abgeschwächte Bedeutung gewertet wurden. Ist der Kaffee nicht heiß, ist er nicht ganz heiß, aber auch nicht kalt - sondern irgendwas dazwischen.
„Wir haben jetzt eine genauere Vorstellung davon, wie die Verneinung funktioniert, wenn wir versuchen, die von uns verarbeiteten Sätze zu verstehen“, erklärt Arianna Zuanazzi, die Hauptautorin der Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Biology veröffentlicht wurde. „Durch die Feststellung, dass die Negation als Abschwächung von Adjektiven dient - ‚schlecht‘ oder ‚gut‘, ‚traurig‘ oder ‚glücklich‘ und ‚kalt‘ oder ‚heiß‘ - verstehen wir auch besser, wie das Gehirn funktioniert, um subtile Bedeutungsveränderungen zu interpretieren.“
Warum das wichtig und interessant ist? Den Forschenden zufolge wird die Negation in verschiedenen Zusammenhängen dazu verwendet, um ein klares Verständnis zu verschleiern, z.B. in der Werbung oder in juristischen Texten. Außerdem hat auch KI Schwierigkeiten mit solchen Sätzen. Die vorliegende Studie hilft verstehen, wie komplex es sein kann, Sprache zu verstehen und könnte auch helfen, künstliche Sprachmodelle zu verbessern.
Ihr könnt daraus lernen, dass euch solche Formulierungen möglicherweise in die Irre führen sollen (nicht teuer heißt eben nicht automatisch preisgünstig) oder wie ihr selbst bestimmte Dinge vage haltet, wenn euch eine klare Aussage unangenehm ist. Nicht schlecht, oder?
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 11. Juni 2024