Einsendung zum Schreibwettbewerb Dr. Futura im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
„OPA, OPA! Ich hab ausgeschlafen!“ Mein Enkel kam ins Zimmer gestürmt, in dem ich bis eben noch mit meiner Frau, seiner Oma, Mittagsruhe gehalten habe. Vor zehn Minuten hatten wir uns erst hingelegt und der kleine Racker will schon ausgeschlafen haben!
„Psssch! Ruhig, deine Oma schläft noch. Du weißt doch, sie braucht ihren Schlaf! Komm her, leg dich noch ein bisschen zu mir.“
„Hmm, na gut.“, er flüsterte jetzt nur noch. „Warum muss Oma so viel schlafen?“
„Naja, weißt du, wir sind ja jetzt auch nicht mehr die Jüngsten und wenn man alt wird, braucht man mehr Ruhe als so ein kleiner süßer Junge, wie du.“
„Ich bin nich’ klein!“ erwiderte er sichtlich gekränkt, nachdem er unter meine Wolldecke gekrochen kam.
„Na gut, mein Großer, dann versuch’ jetzt noch ein bisschen leise zu sein…“
Für einen kleinen Moment war er tatsächlich still, doch dann schien ihm noch etwas eingefallen zu sein: „Aber Opa, warum werdet ihr älter? Man braucht heute doch gar nicht mehr alt werden!“ Mit diesem Einwand von ihm hatte ich überhaupt noch gar nicht gerechnet, er war schließlich erst fünf! Trotzdem verdiente er eine ehrliche Antwort.
„Das ist richtig, aber wir haben uns damals dafür entschieden, lieber zwei Kinder zu bekommen, als ewig zu leben“
„Aber warum denn? Sterben ist doch nicht schön, oder?“
„Na sieh mal, es würde deinen Vater und deine Tante nicht geben und dich auch nicht. Sterben mussten die Menschen vor tausenden von Jahren schon. Das ist der Lauf der Dinge.“
„Ich möchte aber nicht, dass du stirbst, ich hab’ dich lieb, Opi!“
„Ich dich auch, mein Junge, ich dich auch.“
Einige Momente lang war Schweigen, bis ihm noch etwas einfiel: „Kann man nicht beides? Ewig leben und Kinder bekommen?“
„Nein, das geht nicht! Stell’ dir mal vor jeder Mensch würde ein Kind kriegen oder zwei und diese Kinder würden auch Kinder bekommen und immer so weiter und niemand würde sterben…“
„Das wäre doch toll!“
„Nein überhaupt nicht. Irgendwann wäre kein Platz mehr auf der Erde. Deswegen hat man vor ungefähr 350 Jahren beschlossen, dass auf unserem Planeten nur 5 Milliarden Menschen leben dürfen und nicht mehr. Es gab zwar Zeiten, in denen es über 15 Milliarden gab, aber es herrschte Not und Elend. Außerdem fehlte es an allem: Wasser, Essen und all die schönen Spielzeuge, die du heute hast, wären für jedes Kind damals ein Traum gewesen.“
„Woher weißt du das alles? Du bist doch keine 350 Jahre alt, oder?“
„Nein, aber das weiß ich von einem der Weisen, Altehrwürdigen, die seitdem auf der Welt sind.“
Anscheinend war er mit meinen Antworten immer noch nicht zufrieden, weswegen er nachhakte:
„Also bist du überhaupt nicht traurig, dass du sterben musst, irgendwann?“
„Nur ein bisschen, weil ich weder sehen kann, wie du älter wirst, noch wie es mit der Welt weitergeht, aber irgendwie bin ich auch ziemlich stolz auf deine Oma, dass sie mich damals dazu überredet hat, deinen Vater zu bekommen.
Ich bemitleide jeden der ewig Lebenden, weil sie nie das Glück haben werden, ihre eigenen Kinder aufwachsen zu sehen. Man kann einfach nicht für alle Ewigkeit glücklich sein, irgendwann stumpft man ab, weil nichts Neues mehr passiert, weil jeder Tag, den man erlebt etwas in sich birgt, dass man schon etliche Male erlebt hat.
Für mich ist jeder Tag etwas Besonderes, ein Geschenk, das ich dankbar entgegennehme und in vollen Zügen genieße.
Auch diese neuen Entwicklungen zum unangreifbaren Immunsystem passen mir ganz und gar nicht. Ich denke einfach: Wie soll man die guten Zeiten zu schätzen wissen, wenn man nie Schlechtere erlebt hat?
Ich kann kaum verstehen, wie es einige Leute weit über hundert Jahre mit ein- und demselben Partner aushalten. Deine Oma und ich gehen uns ja ab und an schon auf die Nerven, aber ich liebe sie, nach über 50 Jahren liebe ich sie immer noch von ganzem Herzen und kann sagen, dass ich alles richtig gemacht habe im Leben und ich wünsche dir, dass du irgendwann einmal dasselbe von dir behaupten kannst. Deswegen sieh dein Leben als Geschenk von deinen Eltern, deinen Großeltern und deinen Vorfahren, lebe es in Würde und mach’ was daraus!“
Ich wartete eine Weile auf eine Antwort, doch sie blieb aus. Zumindest von meinem Enkel.
„Ich liebe dich auch, selbst wenn wir uns manchmal in unserem Alter noch Zanken. Es ist doch alles gut so, wie es ist!“