Einsendung zum Schreibwettbewerb Dr. Futura im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Wenn ich an einem sonnigen Tag wie diesem in den Himmel blickte, dann kam mir die Welt freundlich, sicher und vollkommen vor. Dieses azurblaue Himmelszelt, sowie die helle orange-gelbe Sonne können einen Tag zum Leuchten bringen. Doch wenn ich den Blick auf den Boden senkte, sah ich die Realität. Die langen Schatten, die nur noch ein Abbild des strahlenden Wetterphänomens waren, ließen die warmen Farben nur noch ganz schwach erkennen, verschlangen sie fast mir ihren langen, dunklen Zungen.
Genau so ein Schatten hatte sich über den schlaffen Mädchenkörper vor meinen Füßen gelegt. Behutsam legte ich ihr einen Arm unter den Körper und hob sie unter erheblichen Anstrengungen in die Höhe. Kraftlos baumelten ihre Arme und Beine herab. Ihr Kopf fiel schlaff auf meine Schulter. Langsam kämpfte ich mich die schnurgeraden Straßen empor, die zum medizinischen Zentrum führten. Passanten blieben stehen, um staunend oder entsetzt auf den schlaffen Körper in meinen Armen zu starren, doch keiner bot mir Hilfe an. Wenn sie stehen blieben, dann in erheblicher Entfernung von mir und dem fast leblosen Körper. Kaum hatte ich die Portaltüren des medizinischen Labors erreicht, schon schwangen sie auf, um mich einzulassen. Ein großer Roboter rollte auf mich zu.
„Leblose Körper - erster Stock, zweite Tür rechts.“ Mit diesen Worten klebte er mir eine Plakette auf die Brust, auf der „Totenträger“ prangte.
„Sie ist nicht tot. Sie atmet noch“, erwiderte ich schnell, aber ohne auch nur im Entferntesten auf mich zu achten, schob eine Metallhand mich in einen gläsernen Aufzug, der mich binnen einer Sekunde in einen langen, hellen Flur empor fuhr. Obwohl sich die Brust des Mädchens immer noch hob und senkte, steuerte ich die mir zugewiesene Tür an. Leise pochte ich dagegen. „Totenträger, wie?“, stellte ein alter Mann fest, als er mir die Tür öffnete. „Nein. Sie lebt, sehen sie, sie atmet.“ Interessiert beugte er sich über sie, dann nickte er überschwänglich: „Kommen sie herein. Auch mit fast toten Fällen kenne ich mich aus.“ Immernoch mit einer leicht mitfühlenden Miene geleitete er mich in den nur spärlich eingerichteten Raum hinter der Tür. „Legen sie das Mädchen hierhin und nehmen sie bitte Platz.“ In dem Moment, in dem er dies sagte, fuhr eine breite Liege aus der Wand gegenüber und aus dem Boden stieg ein gemütlicher, gepolsterter Sessel empor. Dankbar lies ich mich in die Kunstpolster sinken, während der Doktor das kleine Mädchen auf der Liege untersuchte. Interessiert und hoffnungsvoll musterte ich ihn bei seinen Behandlungen, bis er sich mir gegenüber auf einen weiteren Sessel sinken ließ.
„Was ist mit ihr?“ - „Nun, es fällt mir nicht leicht, es ihnen zu sagen… Sind sie die Mutter des Mädchens?“ Traurig starrte er mich an. „Nein. Ich habe sie gefunden. Sie lag auf der Straße zusammengerollt. Sie sah halbtot aus, deshalb habe ich sie hierhergebracht. Von Angehörigen war weit und breit keine Spur.“ - „Sie sind nicht verwandt mit ihr?“ Augenblicklich schlug der mitfühlende Ton in einen fast geschäftlichen um. „Nun, dann kann ich es ihnen ja ohne Probleme mitteilen“. Er lachte schmeichlerisch auf: „Bei ihr scheint die Niere schon seit längerer Zeit nicht mehr richtig zu funktionieren. Ihr Körper hat sich schon in weiten Teilen selbst vergiftet. Kein Wunder also, dass keine Angehörigen anwesend waren. Das ist ein ziemlich teures Heilverfahren“, fuhr er nun fast schon unbeteiligt fort.
„Aber sie können es heilen. Sie können das. Es würde sie weniger als fünf Minuten kosten, sie, sie…“ - „Nun, natürlich könnte ich das in weniger als einer halben Stunde auskurieren. Wir haben genug gezüchtete Organe in den Laboren, aber sie sind nicht ganz billig, das heißt, wenn sie keine Angehörige sind, dann werden sie es wohl kaum auf sich nehmen wollen, dass…“ - „Wie teuer?“ Wütend versuchte ich ihn mit meinen Augen zu durchbohren, doch er wich meinem Blick beharrlich aus. „Nun. Mit einer Summe von 100.000 Euro würden wir uns zufrieden geben…“. „Aber, aber so viel, so viel habe ich nicht!“ Wütend sprang ich auf, dann sah ich von ihm zu dem nun wimmernden Mädchen hinüber, das sich nun noch weiter zusammengekauert hatte. „Dann kann ich ihr Sterbehilfe leisten. Dies ist natürlich kostenlos…“ - „Was!? Nein. Sie müssen ihr helfen. Sie können dieses Leben retten. Warum zögern sie noch? Jede Sekunde könnte kostbar sein!“ Panisch blickte ich in dem Raum herum, aber der Doktor saß immer noch mit verschränkten Armen in seinem Stuhl und rührte sich nicht. „Ohne Gehalt bin ich machtlos. Ich kann keine Niere aus dem Labor stehlen…“ - „Dann, dann nehmen sie ihr eigenes Geld. Sie müssen viel verdienen- sie sind Doktor“. „Meine Liebe!“, fuhr er entrüstet auf: „Ich werde mich nicht wegen eines beliebigen Mädchens verschulden. Wir können nichts mehr für sie tun.“
Panisch trat ich an das Mädchen heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Fiebrige, verschwommene Augen blinzelten mich erschöpft an. „Ich werde dir helfen. Keine Sorge, du wirst bald geheilt sein.“ Beruhigend tätschelte ich ihren Arm, aber sie wimmerte immer noch. Hilflos musste ich auf sie herabblicken. Ich konnte nichts tun - gar nichts. Ich besaß nichts, nichts was ich hätte verkaufen können, um Geld zu bekommen. Ich war machtlos. „Sparen Sie sich die Mühe. Das Mädchen kann Sie nicht hören.“ „Was? Warum?“ Geschockt starrte ich auf den kleinen Körper auf der Liege. „Sie ist taub. Das musste ich leider feststellen, als ich sie untersucht habe. Aber Taube können wir nicht heilen. Wir haben in diesem Labor auch noch nie nach einem Mittel dagegen gesucht. Dieser genetische Defekt darf nicht verbreitet werden. Wir werden ihn im Keim ersticken.“ Ein Leuchten trat in seine Augen. „Ach darum geht es, ja? Sie wird nicht geheilt, weil sie einen „genetischen Defekt“ hat? Weil sie kein „perfektes Design“ besitzt? Das kann doch nicht ihr Ernst sein!“
„Ich muss sie nun bitten zu gehen. Sie und ich können nichts mehr tun!“, erklärte er mit ruhiger, aber bestimmter Stimme, doch ich rührte mich nicht von der Stelle. Ich spürte wie meine Faust sich ballte, aber nie würde ich mich trauen, sie auch einzusetzen.