Wie soll man mit 17 wissen, was man die nächsten vier Jahre studieren oder lernen will? Imber hat eine Antwort gefunden: Ausprobieren! Ein Plädoyer für's Gasthören.
Hat man einmal einen Abschluss in der Tasche, beginnt die eigentliche Qual der Wahl erst. Mit zarten 17 oder 18 Jahren sollen die Schülerinnen und Schüler plötzlich wissen, was sie die nächsten vier Jahre studieren oder lernen wollen, am besten auch gleich noch wo und was sie dann später 50 Jahre bis zu ihrer Rente arbeiten wollen. Wenn man nicht gerade seit der ersten Klasse Ärztin oder Schreinerin werden wollte, steht man vor einem beinahe unüberwindbaren Hindernis. In der Schule lernt man zwar Mathe und Geschichte, Sprachen und Chemie, aber was hilft das, wenn man Maschinenbau studieren möchte oder Politikwissenschaften? Schließlich hat die Schule selbst mit den jeweiligen Ausbildungen oder Studiengängen sehr wenig zu tun - nur die Namen ähneln sich manchmal.
Natürlich kann man einfach etwas anfangen und hoffen, dass man sich nicht vertan hat, man kann sich die jeweilige Wahl oder Auswahl aber auch näher anschauen. Am besten nicht nur, indem man Freunde befragt oder auf Messen geht, sondern indem man es ausprobiert. Auch wenn man sich schon sehr sicher ist, schadet es nichts, sich die Realität noch einmal näher anzuschauen.
Ich war zum Beispiel davon überzeugt, Politikwissenschaften studieren zu wollen. Ich habe sogar ein Praktikum in der politischen Bildungsarbeit gemacht, das mir unglaublich viel Spaß gemacht hat. Dann hatte ich bis zum Semesterbeginn noch ein halbes Jahr Zeit und weil ich lieber auf Nummer Sicher gehe und das Studium kaum erwarten konnte, habe ich mich als Gasthörerin eingeschrieben. Ganz offen gesagt war das die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können.
*Wie kann ich Gasthörer_in werden?*
Als Gasthörer_in kann man sich offiziell für bestimmte Vorlesungen und Seminare als Gast einschreiben und so herausfinden, wie Studieren wirklich ist. Viele Universitäten bieten das sogenannte Gasthören an. Man kann einfach nach der Uni und dem Begriff Gasthören suchen oder im Studierendensekretariat anrufen und nachfragen. Notfalls könnte man auch einfach fragen, ob man eine Erlaubnis bekommt, sich in bestimmte Vorlesungen zu setzen. Am Ende merkt ohnehin niemand, dass man eigentlich gar nicht richtig dazu gehört, sondern nur ein Gast ist.
Ich habe mir also Studiengänge herausgesucht, die mich interessierten. Nicht nur Politikwissenschaften, sondern auch ein paar andere Optionen, die ich eigentlich schon verworfen hatte, aber in die ich einfach mal reinschnuppern wollte. Den Antrag auszufüllen war absolut unkompliziert und am Ende durfte ich sogar in einige Seminare, für die sich auch Studenten sonst extra anmelden müssen.
An meinem ersten Tag fühlte ich mich schon wie eine richtige Studentin. Nur eines passte irgendwie nicht: der Studiengang - und das, obwohl ich ja schon ein Praktikum gemacht hatte. Ich fand den Stoff uninteressant, mir gefiel die Atmosphäre nicht, ich hörte kaum zu. Ich bin in der nächsten Woche in andere Vorlesungen gegangen. Es könnten ja die Professoren sein, sagte ich mir. Und wieder war es gleich: Politikwissenschaften war nichts für mich, so sehr ich das auch gedacht hatte und so sehr es sich mit meinen Interessen überschnitt. Der Studiengang war ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte, nicht besser, nicht schlechter, einfach anders.
Natürlich war das erstmal ein Schock aber auch eine Erkenntnis. Hätte ich das Gasthören nicht gemacht, hätte ich in der ersten Studienwoche merken müssen, dass ich im falschen Fach gelandet bin. Also habe ich mich auf die anderen Studiengänge konzentriert, die ich schon längst abgeschrieben hatte.
Sie waren auch anders als ich sie mir vorgestellt hatte und entgegen meiner Erwartungen war ich begeistert. Auch das hätte ich niemals herausgefunden, hätte ich mich nicht als Gasthörerin eingeschrieben oder einfach mal in die Vorlesungen reingeschnuppert.
*Den richtigen Studiengang gefunden*
Heute weiß ich, was ich studieren möchte und auch, dass das Fach wirklich zu mir passt, dass ich für den Stoff brenne und dass mir das Lernen Spaß macht. Als große Krimiliebhaberin war eins meiner Gasthörerfächer auch Jura, Strafrecht um genau zu sein. Eigentlich wollte ich mich nur zum Spaß in die Vorlesungen setzen, musste dann aber feststellen, dass ich den Stoff super spannend fand. Ich habe mich richtig auf jede Vorlesung gefreut und immer aufmerksam zugehört. Also habe ich mich aus Neugier auch in Zivilrecht und Öffentliches Recht gesetzt und war selbst davon überrascht, wie gut mir alles gefallen hat.
Ich wollte mal irgendwann in der Mittelstufe Anwältin werden, aber alle meine Lehrer haben mir abgeraten, weil der Stoff den Ruf hat, trocken zu sein. Ich finde ihn jetzt aber sehr spannend und auch im Vergleich zu anderen Studiengängen sehr lebenspraktisch. Dass mir Jura so gut gefallen würde, hätte ich allerdings ohne die Vorlesungen nie vermutet.
Ich bin unheimlich froh, dass ich das jetzt gemerkt habe und nicht erst nach meiner Bewerbung. Gerade weil ich mir bei Politikwissenschaften so sicher war, habe ich alles andere verdrängt, wurde engstirnig und war gar nicht mehr offen für anderes.
Egal ob man sich schon sicher ist oder noch gar keine Vorstellungen hat, ich würde jedem das Gasthören an einer Universität in der Nähe empfehlen. Erst dann kann man wirklich sagen, ob man sich das richtige Fach herausgesucht hat, ob Erwartung und Realität auch zueinander passen. Ist man begeistert, hat man nur einen Grund mehr, sich auf das Studium zu freuen. Ist der Studiengang doch nichts, hat man hundert Möglichkeiten, sich in einen neuen Studiengang zu verlieben.
Auch wenn ich inzwischen weiß, was ich studieren möchte, bleibe ich bis zum Ende des Semesters (solange gilt der Antrag an meiner Uni) weiter Gasthörerin. Ich kann schon ein bisschen vor- und mitlernen und der Stoff ist einfach so interessant, dass ich nichts verpassen möchte. Gleichzeitig kann ich mich schon etwas eingewöhnen in das Studentenleben und muss mir keine Sorgen mehr machen, weil ich wirklich weiß, dass mein Studiengang auch zu mir passt. Aufs Studieren habe ich mich noch nie mehr gefreut als jetzt, wo ich weiß, was mich erwartet und dass ich es lieben werde.
Autorin / Autor: imber - Stand: 4. Juli 2018