Proxi. Eine Endzeit-Utopie

Autorin: Aiki Mira

"Tot bedeutet unumkehrbar", sagt Tell.
"Tot bedeutet unausweichlich", sagt Dion.
(Seite 111)

Bei "Proxi" handelt es sich um eine virtuelle Realität, die den Nutzer*innen ein zweites Leben mit neuen Identitäten ermöglicht. Als ein Virusangriff diese Realität zerstört, ist das für viele ein Weltuntergang, denn Teile ihres Lebens und ihres Selbst sind für immer ausgelöscht. So ergeht es auch Monae, Kawi und Dion. Sie wollen ihre virtuelle Realität, ihr Proxi zurück, und so begeben sie sich auf einen Roadtrip durch das wahre Leben. Obwohl das Buch "Proxi" heißt, geht es in der Geschichte selbst nur nebensächlich um Proxi und hauptsächlich um Proto. Proto ist die Landschaft in dieser Utopie. Eine Landschaft, die anders ist als die Landschaft, die wir kennen, denn sie wurde beeinflusst durch die Klimakrise und das Biohacking. Sie ist rauer, wilder, unvorhersehbarer. In dieser Landschaft ist schnell klar, dass Monae, Kawi und Dion sich aufeinander verlassen und sich vertrauen müssen. Fraglich ist jedoch, ob die drei überhaupt das gleiche Ziel verfolgen.

Wenn Kawis Gedanken ein Wald sind, müssen Shozos ein Ozean sein. Tiefe, verborgene Welten. Unerforscht wie ein ferner Planet.
(Seite 149)

Aiki Mira hat einen sehr speziellen Schreibstil. Ich muss gestehen, dass ich mich zu Anfang an diesen Stil gewöhnen musste, da zum Teil "Mush" gesprochen wird, eine Sprache der Zukunft. Ich wusste lange Zeit nicht, ob ich mich überhaupt an den Schreibstil gewöhnen würde, aber mir wurde zunehmend bewusster, dass genau diese eigentümliche Sprache "Proxi" so besonders und glaubwürdig macht. Es handelt sich um Science-Fiction und es hat sich natürlich angefühlt, dass die Charaktere anders sprechen als in der heutigen Zeit. Für mich wurde die Geschichte dadurch glaubwürdiger, auch wenn ich mich zu Beginn mit Händen und Füßen dagegen wehren wollte.

Unsere Welt ist polyreal, es gibt immer zugleich mehrere Realitäten. Schnelle wie Kriege und Pandemien und langsame wie Klimawandel und Artensterben.
(Seite 206)

Ich liebe es, wie wunderbar Aiki Mira mit Worten spielt, mit den zwischenmenschlichen Feinheiten und Details. Auf den ersten hundert Seiten kam mir die Geschichte diffus vor, wenig greifbar, aber je mehr ich in die Story eingetaucht bin und mich auf die Persönlichkeiten sowie Begebenheiten eingelassen habe, desto mehr Durchblick gewann ich, desto mehr konnte ich mich in alle Lebewesen hineinversetzen und ihre Beweggründe verstehen. Es war, als könnte ich bei einem Prozess dabei sein, bei einem Wandel, bei einer Interpretation. Worte können gar nicht ausdrücken, was für ein Gefühl, was für eine Emotion "Proxi" in mir hinterlassen hat. Ich bin verliebt in diese Geschichte, mittlerweile von der ersten bis zur letzten Seite.

Ein gutes Leben ist nicht immer lang, und ein langes Leben ist nicht unbedingt glücklich oder erfüllt. Kommt es nicht darauf an, das Leben mit Leidenschaft anzunehmen?
(Seite 289)

"Proxi" ist für mich wie ein Lauffeuer, wie eine Explosion, aber im selben Augenblick auch wie die leichte Kräuselung auf einem ruhig See. Es passiert so viel und so wenig zur selben Zeit. Es geht um starke und wichtige Themen, wie Transgeschlechtlichkeit, Klimawandel und Artensterben. Themen, die es aus meiner Sicht in der Welt der Literatur braucht. Es ist solch ein diverses und vielseitiges Buch. Mir hat es große Freude bereitet, diese Geschichte zu lesen und möchte nicht einen einzigen Moment missen.

Fazit: Eine Geschichte, in der es um mehr als Freundschaft geht. Einzigartiger Schreibstil, an den ich mich gewöhnen musste, der aber perfekt zu einer Endzeit-Utopie passt.


Erschienen bei TOR

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Autorin / Autor: Zonneschijn - Stand: 23. Januar 2025