Radikal kann jede:r werden

Studie fand keinen Zusammenhang zwischen Radikalisierung und Migration

Wenn es um das Thema Radikalisierung geht, wird die Debatte in der öffentlichen Diskussion häufig mit Migrationsthemen verknüpft. Aber gibt es eigentlich dafür belastbare Daten und wissenschaftliche Belege? Das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) hat sich mal deutschsprachige wissenschaftliche Publikationen der letzten zehn Jahre angeschaut und dabei festgestellt: "Über alle Extremismen hinweg lässt sich in der deutschsprachigen Forschung kein wissenschaftlicher Beleg dafür finden, dass sich Personen mit Migrationsgeschichte zu einem höheren Anteil radikalisieren als die einheimische Bevölkerung."

Instrumentalisierung von Migration durch extremistische Narrative

Die Forscherinnen stellen fest: Es gibt kaum Zahlen dazu, wer oder wieviele Menschen in radikalisierten Milieus Migrationsgeschichte haben. Allerdings ging es bei der Recherche auch um alle Arten von Extremismus, und nicht nur um Islamismus, bei dem Radikalisierung häufig mit einer Migrationsgeschichte in Verbindung gebracht wird, erklärt Dr. Alina Neitzert, wissenschaftliche Mitarbeiterin im BAMF-Forschungszentrum.

Was die Analyse der Literatur jedoch zeigt: Themen mit extremistischen Inhalten richten sich an alle Personen - egal ob mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte. Migrationsthemen werden allerdings gezielt dazu genutzt, neue Gruppen anzusprechen. Dabei konzentrieren sich die extremistischen Gruppierungen besonders auf nach außen möglichst geschlossenen In-Groups, die sich durch die Abwertung anderer Gruppen definieren. Dabei gebe es verschiedene Muster: Während im islamistischen Spektrum oder im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus häufig die Diskriminierungserfahrungen angesprochen würden, um Menschen mit Migrationsgeschichte zu erreichen, definierten rechtsextreme Narrative das Thema Migration eher als Gefahr für die Gesellschaft, erklärt Nelia Miguel Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin im BAMF-FZ.

Fehlende gesellschaftliche Teilhabe als Risikofaktor für Radikalisierung?

Die Studien zeigen: Die Risikofaktoren für eine Radikalisierung in den unterschiedlichen Bereichen ähneln sich insgesamt sehr stark. Dabei stellt eine Migrationsgeschichte per se keinen Risikofaktor dar. „Auf Basis der Forschung kann kein Beleg dafür gefunden werden, dass Personen mit Migrationsgeschichte anfälliger für eine extremistische Radikalisierung sind." Die Analyse habe jedoch gezeigt, dass Menschen, die immer wieder Diskriminierung erleben und in instabilen familiären Verhältnissen aufwachsen, stärker gefährdet seien, resümiert Nelia Miguel Müller.

Empirische Forschung zum Thema Radikalisierung fehlt

Die Forschenden betonen aber: Selbst wenn Personen mit Migrationsgeschichte aufgrund der Diskriminierung oder familiärer Probleme gefährdet sein könnten, radikalisiert sich der Großteil von ihnen nicht. Diese Tatsache sollte im aktuellen politischen Diskurs ebenfalls berücksichtigt werden. Neben den Risiken sollte die Forschung daher auch untersuchen, was dazu beiträgt, dass Menschen mit Migrationsgeschichte gegenüber Radikalisierungsversuchen stark bleiben. Außerdem könnte die Forschung ihre Aufmerksamkeit verstärkt darauf richten, mit welchen Mitteln extremistische Gruppierungen versuchen, die Gesellschaft zu spalten und welche Narrative sie dazu einsetzen. Dies sei wichtig, um einer Rekrutierung der gefährdeten Personen entgegenzuwirken.

Wie gefällt dir der Artikel?

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 5. November 2024