Redefreiheit nicht gefährdet
Umfassende Studie belegt: Es gibt keine generelle „Cancel Culture“ an der Uni und in der Wissenschaft
Ob es um gendergerechte Sprache, den aktuellen Gaza-Krieg oder andere kontroverse Themen geht: Immer wieder werden Vorwürfe von Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit laut – meist begleitet von aufgeladenen Debatten im Netz –, so auch im Wissenschaftsbetrieb. Wie frei sind Professor*innen, Doktorand:innen und andere wissenschaftliche Mitarbeitende in Deutschland wirklich, ihre Forschung und Lehre zu gestalten und ihre Positionen zu vertreten? Findet die viel zitierte „Cancel Culture“ an der Uni und in der Wissenschaft statt? Und was macht Hochschule aus in Zeiten der krisenhaften Auseinandersetzungen?
Um diese Fragen wissenschaftlich fundiert zu beantworten, gibt es nun eine deutschlandweit erste repräsentative empirische Studie zur akademischen Redefreiheit des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW).
Erste Ergebnisse der Studie: Es ist insgesamt gut bis sehr gut bestellt um die akademische Redefreiheit an den Hochschulen in Deutschland. Das gaben vier von fünf der Befragten an. Die überwiegende Mehrheit der über 9.000 Teilnehmenden der Studie fühlt sich nicht eingeschränkt und hat persönlich wie im näheren akademischen Umfeld auch keine Einschränkung der Rede- und Forschungsfreiheit erfahren. Strukturelle Einschränkungen oder gar eine systematische Kultur des Cancelns sind nicht feststellbar.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es gar keine persönlichen Einschränkungserfahrungen gibt, zum Beispiel mit Einengungen bei der Forschungsfreiheit: Frauen und nicht-binäre Personen berichteten häufiger als Männer über einschränkende inhaltliche Kritik und moralische Abwertungen, und diese Erfahrungen betreffen eher Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen als Mitglieder anderer Fächergruppen.
Dr. Anna Hofmann, Bereichsleiterin Wissenschaft und Forschung der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die die Studie ermöglicht hat: „Universitäten leben zugleich von der Freiheit der Wissenschaft und vom offenen Diskurs. Sie müssen deshalb streitbare Orte bleiben. Die Studie zeigt, wie Hochschulangehörige in Deutschland ihre Freiheit zu fragen, zu forschen und zu lehren einschätzen und welche Erfahrungen sie in ihrem direkten Umfeld machen. Das Gesamtbild ist positiv: Die überwiegende Mehrheit der Befragten schätzt den Zustand der Wissenschaftsfreiheit als gut ein. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen verschiedenen Statusgruppen, Fächern und den Geschlechtern. Die Wissenschaftsfreiheit müssen wir auch hier verteidigen und so die Freiräume des Denkens für die Zukunft sichern.“
Die Forscher:innen räumen aber auch ein, dass Einschränkungen akademischer Redefreiheit vielschichtig und komplex sind. Sie reichen von als unangemessen wahrgenommener inhaltlicher Kritik zu moralischer Diskreditierung bis hin zu beruflichen Problemen.
Zur Studie „Akademische Redefreiheit an deutschen Hochschulen“
Erstmalig wurde mit dieser Studie der Stand der akademischen Redefreiheit an deutschen Hochschulen repräsentativ erhoben. Befragt wurden Doktorand:innen, Postdoktorand:innen und Professor:innen verschiedener Fachgebiete, die an deutschen Hochschulen bundesweit beschäftigt sind. Die Angaben von mehr als 9.000 Teilnehmer:innen sind in die Studie eingeflossen; die Beantwortung erfolgte anonym und digital.
Die Studie wurde vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung unter Beteiligung einer Wissenschaftler:innen-Gruppe von u. a. den Universitäten Berlin, München, Frankfurt am Main, Bremen und Mannheim und in journalistischer Begleitung eines Redaktionsteams von DIE ZEIT durchgeführt. Den Befunden liegen 9.083 vollständige Fragebögen zugrunde.
Ziel der Befragung war es, ein umfassendes Bild der akademischen Redefreiheit in Deutschland auf fundierter Datenbasis zu erhalten. Zudem will die Studie die anhaltende, meist sehr emotional geführte Debatte um Wissenschaftsfreiheit versachlichen und Orientierungshilfe geben.
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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 11. Oktober 2024