Roxys Teenagerleben gleicht nicht dem aus Büchern und Fernsehserien. Ihre Freizeit verbringt sie nicht zwischen Traumvillen, Partys und Instagram, sondern nun mit Sozialstunden, die sie auf einem Pferdehof ableisten soll. Der jungen Frau gelingt es erfolgreich, das Therapiepferd, das sie betreuen soll, nicht an sich heranzulassen, dennoch schafft es ein verstörter Hengst, sich in ihre Gedanken und letztlich auch in ihr Herz zu schleichen, weshalb Roxy auch nach Abbruch der Arbeitszeit immer neue Gründe findet, das Tier zu besuchen. Von seiner Besitzerin, die ihn mit brutalen Trainingsmethoden gefügig zu machen versucht, missverstanden, bleibt dem Hengst Saphir letztlich nur Roxy, die für ihn einsteht. Auch wenn sie dabei gegen ihre inneren Dämonen und äußeren Vorschriften kämpfen muss.
In vielerlei Hinsicht erwartet man einen Jugend-Pferde-Roman nach „Schema F“, liest man den Klappentext des Werks der renommierten Autorin Bettina Belitz. Die Komponenten sind allgemein bekannt. Ein wilder verstörter Hengst; ein Folterknecht in Gestalt der Besitzerin; ein zwiegespaltener Star der Reiterszene: sozial zerrüttete Verhältnisse einer Protagonistin und ebenjene, die sich vom Stallmädchen zur Pferdeflüsterin mausert. Dass dem nicht so ist, wird jedoch schnell klar:
Roxy ist rebellisch und in sich weit weniger stimmig als die üblichen Heldinnen des Genres, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass der Leser trotz der „Ich-Erzählerin“ kaum bis keinen Einblick in Roxys Gefühlswelt erhält. Nach außen zeigt sich das Mädchen sehr verschlossen und beinahe resigniert, was auf Dauer jedoch leider anstrengend ist, da niemals tiefere Hintergründe angekratzt oder gar geklärt werden. Abgesehen von einzelnen Fragmenten der Vergangenheit, bleiben die Umstände, die Roxy zu der machten, die sie ist, ungeklärt. Somit kann ich nicht guten Gewissens von einer „gelungenen“ oder „emotional mitreißenden“ Figur sprechen, da sie den Leser auch in ihren Gedanken außen vor lässt.
Auch die Nebencharaktere sind eher unüblich gewählt. Roxys Mitbewohner im betreuten Wohnen werden allenfalls kurz aufgegriffen, wenn sie eine praktische Funktion haben und den Rest der Zeit ignoriert. Auch der Betreuer des Mädchens hat wenige Auftritte, die dafür umso ernster und emotionaler sind. Sogar eine Adoption durch diesen Mann wird erwähnt, allerdings dank Roxys unerklärter Ablehnung wieder fallen gelassen. Insgesamt sind die Nebencharaktere platt, folgen oft Klischees und sind größtenteils nicht unentbehrlich.
Die Handlung selbst entspricht einem gängigen und bekannten Konzept, wenngleich das übliche romantische Interesse der Protagonistin an einer der Figuren durch die Zuneigung zu einem Pferd, hier Saphir, ersetzt wird. Diese Beziehung findet jedoch hauptsächlich in den Gedanken und stellenweise auch Handlungen Roxys statt, da sie sich bis zum Höhepunkt mit abruptem Ende des Romans mit nur bedingter Beharrlichkeit für ihr Lieblingstier einsetzt. Happy End inklusive ist die Handlung meines Erachtens keine besondere Erwähnung wert, zumal zu viele Themen wie Vergangenheit, Familie, Zugehörigkeit, Zukunft und Zukunftsangst, Perspektive, Trainingsmethoden im Turniersport und soziale Stellung zwar angeschnitten, aber nicht weiterverfolgt werden. Für mich gleicht der Inhalt einer Großraumküche mit sehr vielen Töpfen auf dem Herd, von denen ein oder zwei oder viele leider vergessen wurden.
Der Schreibstil der Autorin hingegen hat mir sehr gut gefallen und war vermutlich das „rettende Element“ der Lektüre. Bettina Belitz schreibt Roxys Gedanken sehr umgangssprachlich auf, was mir persönlich in Zusammenhang mit ihrer Bildungs- und Sozialsituation gefällt, da es ein stimmigeres Gesamtkonzept ermöglicht und dabei authentisch bleibt. Ihr Markenzeichen in diesem Buch ist „…“ am Ende vieler Sätze. Dies stellt für mich einen Verweis auf das Chaos und die Unsicherheit in Roxys Emotionen dar, was ich sehr schätze, da ich es schön finde, wenn die Ausdrucksweise des Autors die Mentalität und den Charakter der erzählenden Figur verdeutlicht und umsetzt.
Insgesamt würde ich das Buch jedoch nicht weiterempfehlen, da es gerade im Genre Jugendliteratur für Pferdefans weitaus stimmigere und durchdachtere Alternativen mit angenehmerer, interessanterer Handlung und fesselnderen Charakteren auf dem Markt gibt.
Möchte man jedoch nur eine kurze Geschichte mit Happy End lesen, so könnte „Saphir – Rebellische Herzen“ von Bettina Belitz ein nettes Vergnügen bescheren.
*Erschienen bei Kosmos*