Schattenbruder

Autorin: Iris Hannema
ins Deutsche übersetzt von Rolf Erdorf

Hebes Bruder Alec ist ein wahrer Freigeist, den es jedes Jahr in ein anderes fernes Land zieht. Seiner Schwester Hebe hinterlässt er jeweils eine Postkarte mit einer Botschaft. Auf seinen Reisen trainiert Alec das Freitauchen, zuhause in den Niederlanden schwärmt er mit seiner kleinen Schwester von Japan, ihrem gemeinsamen Lieblingsland. Als Alec schließlich nach Japan reist, kehrt er nie wieder zurück. Er ist bei einem seiner Tauchgänge ums Leben gekommen. Seine Eltern hinterlässt er in Trauer, Hebe bleibt fassungslos und mit Unverständnis zurück. Wie konnte das passieren? Wie kann Alec es wagen, sie zurückzulassen? Obwohl Hebe weiß, dass sie so nicht denken sollte, kann sie den Tod ihres Bruders nicht verstehen. Sie entscheidet sich, nach Japan zu reisen, und das Land, von dem sie beide geträumt hatten, nun alleine zu erkunden. Zunächst möchte Hebe Zeit in Tokio verbringen, und schließlich auf die Insel reisen, von der Alec nie zurückgekehrt ist.

Noch bevor sie ihren Flug nach Tokio antritt, geht Hebes Smartphone kaputt. Es erscheint ihr passend, diese Verbindung zur Welt, zu ihren Freunden und ihren Eltern hinter sich zu lassen. So entscheidet sie sich, es nicht zu ersetzen, sondern ihre Reise weitgehend analog zu bestreiten.

Hebe hat von nun an einen besonderen Blick auf ihre Umwelt. Sie existiert bewusst, nimmt Raum ein, fügt sich in die Lücken, die im Alltag der Bürger von Tokio entstehen. Sie erlebt flüchtige Bekanntschaften, bleibt aber überwiegend für sich. Dieser Fokus auf sich selbst, auf ihre Erfahrungen und ihr inneres Erleben prägt die gesamte Erzählung. Zu Beginn hat mich diese Perspektive auf Hebe selbst, wie durch ein Brennglas, etwas überfordert. Doch bereits nach wenigen Kapiteln war ich wie mit ihr verschmolzen und gebannt von ihren Empfindungen. Besonders die Schilderungen der lokalen Speisen, die Hebe immer wieder probiert, haben mir gut gefallen und haben mich neugierig gemacht auf die Küche Japans. Die Autorin Iris Hannema findet in ihrer Erzählung die perfekte Balance zwischen Ereignissen, die die Handlung vorantreiben, und Entwicklungen in Hebes Gemüt, die eine  gewisse Wechselwirkung zwischen Hebes Innerem und ihrer Umwelt entstehen lassen. Mich hat Hebes Geschichte vollkommen in ihren Bann gezogen.

Auch die Sprache der Autorin hat mir gut gefallen und die Erzählung bereichert. Die poetischen Elemente und vielfältigen Metaphern bilden eine stimmige Einheit mit den emotionalen Elementen, aber auch mit den Schilderungen aus dem Stadtleben in Tokio.

Ich kann „Schattenbruder“ absolut weiterempfehlen. Ich habe nie zuvor ein Buch gelesen, dass in mir gleichermaßen den Wunsch geweckt hat, mehr Zeit mit meinen engsten Freunden zu verbringen, und alleine zu verreisen. Ein bemerkenswerter Effekt!


Erschienen beim Verlag Freies Geistesleben

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Autorin / Autor: Lacrima - Stand: 2. April 2024