Visionen der Zukunft: Science Fiction als Wegweiser?
Leben auf entfernten Planeten, Reisen durch den Weltraum, Entwürfe für die Gesellschaft der Zukunft - Science-Fiction beschreibt die Möglichkeiten eines Morgen mit Auswirkungen auf unser Jetzt
Bild: NASA; Digital art by Les Bossinas (Cortez III Service Corp.), 1998
Nichts treibt uns Menschen so sehr an, wie das Entdecken und Erforschen des Unbekannten (auch wenn es ja spätestens dann nicht mehr länger unbekannt ist, nicht wahr?).
Sämtliche Erfindungen, die die Menschheit bislang zustande gebracht hat, scheinen nur diesem einem Zweck zu dienen: Eine zunächst als unpassierbar gedachte Hürde zu überwinden, um in bislang unerreichbare Gefilde vordringen zu können. Immer weiter, immer schneller.
Eine der ältesten Grenzen ist für uns der Weltraum. Seit wir uns aufrecht auf zwei Beinen bewegen konnten, blickten wir hinauf zum Himmel und den unzähligen Sternen am Firmament, uns fragend was es mit diesen Lichtern dort oben auf sich hat und – vor allem – wie wir sie erreichen können.
Begnügten sich unsere Vorfahren noch – mangels Lösungen – mit der Verehrung der Himmelskörper als Gött:innen, wissen wir seit Beginn des letzten Jahrhunderts mit Sicherheit, was es mit unserem Mond, dem Sonnensystem und unserer Galaxie, ja mittlerweile sogar dem Universum selbst (naja, also zumindest in klitzekleinen Bereichen davon) auf sich hat.
Die ursprüngliche Angst, oder optimistisch Faszination, ist mittlerweile dem starken Wunsch nach Kontrolle gewichen: Was wir kennengelernt haben, müssen wir zugleich vermessen, in Zusammenhänge einordnen und letztendlich uns vor allem zu Nutzen machen.
Aber wo wir eine Grenze überschritten haben, in eine unbekannte Zone vorgedrungen sind, da taucht auch bereits eine neue auf.
Die Landmassen der Erde wurden mit dem Rad durchquert, die Ozeane mit Hilfe von Schiffsschrauben erkundet, den Weltraum erschließen wir uns zurzeit Stück für Stück mit Raketen.
Diese letzte Unternehmung scheint jedoch auch eine nie enden wollende zu sein, denn wie wir allgemein annehmen ist unser Universum unendlich.
Unsere Möglichkeiten sind es jedoch nicht.
Nähern wir uns also in immer größeren Schritten einer Grenze an, die unüberwindbar zu sein scheint? Gut möglich.
Bild: ESO/Y. Beletsky; Der Mond und die Venus leuchten hell am kristallklaren Himmel von Cerro Paranal, dem Standort des Very Large Telescope (VLT) der ESO.
CC BY 4.0Grenzen mit Fantasie überwinden
Hier kommt uns unsere Vorstellung und Fantasie zur Hilfe: Autor:innen, Regisseur:innen und Kreative sämtlicher Bereiche denken unsere Möglichkeiten weiter. Unsere technischen Errungenschaften und unser kollektives Wissen werden in Büchern, Filmen und digitalen Spielen zur Grundlage für fantastische Welten und Erfahrungen, die eine umso größere Faszination auf ihr Publikum ausüben, da sie nur eine Entdeckung, eine Innovation von ihrer tatsächlichen Realität trennt.
Dieses weite Feld von Erzählungen, dem Was-Wäre-Wenn, nennen wir allgemein Science Fiction.
Dabei gehen unsere bisherigen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung mit Literatur und anderen Medien Hand in Hand, ja befruchten sich sogar in Wechselseitigkeit.
Seit dem Erblühen der Wissenschaften, also dem Zeitalter der Aufklärung, gewannen und gewinnen Schriftsteller:innen Inspiration für ihre fantastischen Texte.
Vor allem technische Innovationen und Errungenschaften wie Dampfmaschinen, elektrische Anlagen und mechanische Gerätschaften beflügeln die Kreativität der Autor:innen bis hinein in die Gegenwart.
Mechanische Wunder und unsere Sehnsucht nach dem Unbekannten
Ursprünge und Entwicklung der Science Fiction
Einer der bekanntesten, frühesten Autoren dieser Art von Literatur ist Jules Verne, dessen bekannteste Werke In 80 Tagen um die Welt und 20.000 Meilen unter dem Meer technische Neuerungen – zur damaligen Zeit noch ehrfurchtsvoll als Wunder wahrgenommen – in den Mittelpunkt seiner Abenteuer-Geschichten setzten und bis heute gelesen werden.
Einen bis heute noch wirkenden Einfluss auf das Genre als solches hatte gewiss H.G. Wells, verantwortlich für Die Zeitmaschine, Der Unsichtbare Mann und Krieg der Welten.
Vor allem letzteres Werk erlangte ungleiche Berühmtheit. Bei seiner Erst-Ausstrahlung als Hörspiel im britischen Rundfunk, das von Wells selbst vorgetragen wurde, fand eine landesweite Massenpanik statt. Die Menschen nahmen fälschlicherweise an, dass es sich um einen tatsächlichen Angriff von Außerirdischen handelte, so realistisch war die Beschreibung der Ereignisse.
Druckerzeugnisse waren zunächst, dem Zeitalter entsprechend, nur einem vergleichsweise kleinen, zahlungskräftigem Publikum zugänglich. In Folge der Erfindung der modernen Drucktechnik und der einhergehenden Vervielfältigung von Druckerzeugnissen in Form von massenhaft produzierten Magazinen und Zeitungen, konnte aber bald auch ein Großteil der Gesellschaft in diese fantastischen Welten eintauchen.
Insbesondere die jüngere Leserschaft gierte geradezu nach diesen aufregenden Geschichten, die die tatsächlichen Entdeckungen und Innovationen der damaligen Zeit zur Inspiration für ihre Heldengeschichten nahmen, die auf dem Mars und anderen Planeten stattfanden.
Cover Science Wonder Stories 1929, Coverillustration: Frank R. Paul
Hugo Gernsback, ein US-amerikanischer Verleger für Fach-Publikationen über Technik, erkannte diese neue Marktlücke.
Er begann damit, die Werke von Verne, Edgar Allan Poe und Wells wiederzuveröffentlichen, diese Mal jedoch in Form von sogenannten Pulp Magazines – auf minderwertigem, aber von daher auch sehr günstigem, Papier gedruckten Romansammlungen in Magazin-Form. Aufgrund des gewaltigen Erfolgs inspirierte Gernsback so viele weitere Verleger und Autor:innen, in dieser neuen Form von „Literatur“ Fuß zu fassen.
Er war es auch, der im Vorwort einer seiner Magazine den Begriff Science Fiction prägte.
Im Rahmen dieser ersten großen Welle der Science-Fiction Kultur, gründeten sich erste Lesekreise und SciFi-Fanclubs und immer mehr junge Leser sahen sich selbst ermutigt, ihre eigenen Geschichten von Raumfahrt, Außerirdischen und Robotern zu schreiben.
Alltag zwischen Androiden und Aliens
Nach den radikalen Einschnitten von Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg und den einhergehenden traumatischen Erfahrungen, beflügelten Atomkraft und der Beginn der Raumfahrt die Vorstellungskraft zahlreicher Menschen rund um den Erdball. Spätestens mit dem Wirtschaftsboom und der Etablierung Hollywoods fand die Science Fiction auch auf der Leinwand in starker Regelmäßigkeit statt.
Während sich das US-amerikanische Publikum bei Monster-Filmen um außerirdische Invasoren vergnügte und Comics und Romane (zum Beispiel Flash Gordon) sich weiterhin großer Beliebtheit erfreuten, entstand in der Sowjetunion eine ganz eigene Art von Science Fiction. In ihrem Mittelpunkt stand häufig die Überwindung gesellschaftlicher Ungleichheiten mittels technischen Fortschritts, zum Beispiel das Zusammenleben und -arbeiten mit Robotern.
Parallel zu dem Boom der eher billig produzierten und in der Dramaturgie sehr einfach gehaltenen B-Movies gab es aber auch einen Trend zu „seriöser“ Science Fiction in der Literatur, zu deren wichtigsten und einflussreichsten Autor:innen Robert Henlein (Fremder in einer fremden Welt), Isaac Asimov (Ich, der Roboter), Ray Bradbury (Fahrenheit 451), Arthur C. Clarke (2001: A Space Odyssee) und Stanislaw Lem (Solaris) gehören.
Wie viele gegenwärtige Autor:innen begannen die meisten von ihnen ihre berufliche Laufbahn in Wissenschaft und Forschung. Ihre Erfahrungen in Themengebieten wie Physik, Robotik, Biochemie und anderen Naturwissenschaften halfen ihnen dabei, ihre fantastischen Welten glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Sie prägten somit auch die modernen Science-Fiction Erzählungen des Kinos.
Die Regisseure Stanley Kubrick, Steven Spielberg, Ridley Scott und George Lucas zogen aus diesen Vorbildern die Inspiration für die als Meilensteine filmischer Erzählkunst geltenden und allesamt bis heute fest in unserer Populär-Kultur verankerten Werke 2001: A Space Odyssee, E.T.: Der Außerirdische, Alien und nicht zuletzt Star Wars.
Insbesondere „Krieg der Sterne“ ist mit mittlerweile neun Haupt-Filmen, zahlreichen Serien-Ablegern, unzähligen weiteren Büchern, Comics, digitalen Spielen, Spielzeug und Merchandise jeglicher erdenkbaren Art, sowie einem eigens gewidmeten Feiertag (der vierte Mai, in Anlehnung an ein bekanntes Zitat aus den Filmen; im Englischen: „May the for[ce be with you]“) popkultureller Kanon.
Bedingt durch ein gewisses Expertenwissen, das in nach wie vor männlich dominierten Fachgebieten begründet liegt, finden dabei auch in der Science-Fiction Literatur vergleichsweise wenig Geschichten von und über Frauen statt. Wenn man sich jedoch ein wenig tiefer in die Vielzahl an Romanen und Kurzgeschichten wagt, stoßt man recht bald auf einige bemerkenswerte Beiträge. Insbesondere Margaret Atwood (The Handmaid’s Tale) und Ursula K. LeGuin (Die linke Hand der Dunkelheit) haben prägende Klassiker moderner SciFi-Literatur veröffentlicht.
Interessant dabei ist, wie diese (und viele andere) Autorinnen, ihre Visionen der Zukunft nutzen, um Geschlechterrollen zu hinterfragen. Dabei zeichnen sie alternative Gesellschaften, in denen Geschlecht entweder keinerlei Rolle spielt oder gar nicht mehr existiert.
Grenzen weiterdenken: Wie Science-Fiction unsere Lebensrealität beeinflusst
Während die erfolgreichsten Geschichten meist entweder Begegnungen und Interaktion mit außerirdischen Lebensformen und/oder die Erforschung des Weltraums und der damit einhergehenden Herausforderungen für Mensch und Maschine behandeln, ist das Genre der Science-Fiction aktuell so ausdifferenziert wie kaum ein anderes. Vor allem die Unterkategorie des Cyberpunk verschmilzt dabei fortwährend Realität mit Fiktion.
Geprägt durch Bruce Bethke, der den Begriff als Titel für einer seiner Kurzgeschichten verwendete, beschreibt Cyberpunk eine vergleichsweise nahe Zukunft, in der die Kybernetik – also das Ersetzen oder Verbessern menschlicher Organe durch maschinelle Teile und virtuelle Schnittstellen – zum Alltag der Menschen gehört.
Schon jetzt gibt es bereits immer lebensechtere Prothesen und die virtuelle Realität kann mit entsprechender Hardware schon jetzt beeindruckend gefühlsecht simuliert werden.
In der meist pessimistisch geprägten Weltanschauung des Cyberpunk herrschen allerdings einige wenige Mega-Konzerne (man kann hierbei schnell an Amazon und Google denken) über die Bevölkerung und Androiden – lebensechte Roboter – sind Teil der Gesellschaft.
Bekannte Vertreter dieser Stilrichtung sind die Filme Blade Runner oder auch Matrix.
Science Fiction bedient Nische wie auch Massenmarkt. Sehr erfolgreiche, alle Altersgruppen ansprechende Geschichten, wie das bereits erwähnte Star Wars oder Avatar, beflügeln dabei unser aller Erkundungsgeist und Forscherdrang. In farbenfrohen, spielerischen Abenteuern erlauben sie uns, unser kindliches Staunen (wieder)zu erleben.
Auf der anderen Seite bieten das Unbekannte und Fremde auch immer eine vorzügliche Vorlage für Schrecken, Angst und Horror.
Dabei müssen nicht immer zwangsläufig Monster aus dem All die Bedrohung für die Protagonisten stellen: Das Auseinandersetzen mit dem Unergründlichen, Phänomene wie Schwarze Löcher oder Anti-Materie, oder schlichtweg die eigene Isolation können zu Verzweiflung und schließlich Niederlage im Angesicht der unüberwindbaren Hindernisse führen. Die Raumfahrenden und Pionier:innen der Zukunft kämpfen meist mit sich selbst (wie beispielsweise in Filmen wie Moon oder Sunshine). Auch der Konflikt zwischen Mensch und intelligenter Maschine ist ein immer wiederkehrendes Motiv der Science-Fiction Literatur und -medien (etwa in 2001: A Space Odyssee). Eines, das durch die immer besser werdenden AI-Programme wie ChatGPT, wohl auch schon sehr bald Teil unserer Lebensrealität wird.
In unserer Fantasie sind unsere Möglichkeiten unendlich
So ist die Science-Fiction einerseits Spielraum für Gedankenexperimente aus Forschung und Wissenschaft, die immer wieder treffend zukünftige Entwicklungen prophezeit, ja auch immer häufiger von unserer eigenen Realität eingeholt wird. Andererseits schaffen wir mit ihr auch einfach gemeinsame Welten, die wir dank unserer Vorstellungskraft schon heute Heimat nennen dürfen. Wir müssen nicht länger darauf warten, bis wir selbst in der Lage sind fremde Planeten zu kolonialisieren, ganz zu schweigen von dem In-Kontakt-Treten mit außerirdischen Lebensformen oder Reisen zu entfernten Galaxien.
Wir können – bestimmt durch unsere Limitierung unserer kognitiven Fähigkeiten und körperlicher Leistungsfähigkeit – in unserer Realität gefühlt nur Grundlagenforschung betreiben. In unserer eigenen Fantasie sind unsere Möglichkeiten indes unendlich und wir können uns – als Wesen der Neugierde – mittels der Erzählungen in Literatur, Film und digitalen Medien, in uns noch unbekannte Gebiete wagen.
Die kollektiven Traumreisen, die uns die Science Fiction ermöglicht, erlauben uns, uns und unsere Umwelt besser zu verstehen und prägen so die Entwicklung der Menschheit nachhaltig mit.
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Autorin / Autor: AF - Stand: 20. April 2023