Stolperfalle Gendersternchen

Was sagen junge Leute zum Gendern? Tiefenpsychologische rheingold-Studie bei 14- 35-Jährigen

An manchen Tagen entsteht der Eindruck, dass nichts unsere Gesellschaft so sehr spaltet wie das inzwischen fast berühmt-berüchtigte „Gendersternchen“, das wahlweise auch als Unter- oder Querstrich auftaucht, um alle Geschlechter in einem Wort hör- und sichtbar zu machen. Vor ein paar Tagen erst erschien wieder eine neue Studie der Universität Würzburg mit dem Ergebnis, dass das geschriebene Gender-Sternchen nicht dazu führe, dass Männer und Frauen vergleichbar stark wahrgenommen würden. Im Gegenteil: Von den 600 Befragten dachten viele beim Lesen eines Begriffs mit Gendersternchens häufiger an Frauen als an Männer. Die Kritik: Das Gendersternchen schaffe eine neue sprachliche Diskriminierung, zum Nachteil der Männer, weil es Frauen stärker repräsentiere.

Wie sehen junge Leute, für die es oft viel selbstverständlicher scheint, sich sprachlich sensibel zu äußern, die Debatte ums Gendern? Das wollte das Kölner rheingold Institut wissen und befragte 14- bis 35-Jährige sowohl quantitativ als auch mittels tiefenpsychologischer Interviews. Interessantes Gesamtergebnis vorab: auch in dieser Altersgruppe ist das Gendern sehr umstritten. 54% der Befragten lehnen die Genderdebatte eher ab und fühlen sich zum Teil auch stark „genervt“ oder provoziert. 44% sehen die Diskussion als (eher) wichtig und gerechtfertigt an. Vor allem 54 % der jüngeren Frauen bewerten die Sinnhaftigkeit der Debatte besonders hoch.

Gründe für die erhitzte Debatte

Was aber sind die Hintergründe für die Aufregung und Polarisierung der Debatte? Ein Aspekt, der die Diskussion anheizt, sei, dass wir immer noch weit vom Ideal einer gleichberechtigten Gesellschaft entfernt seien, was sich auch in der Befragung zeige: Nur 3% der Frauen und 11 % der Männer sehen die volle Gleichberechtigung erreicht und 57% der Frauen fühlen sich mindestens „ab und zu“ als Frau im Alltag oder Berufsleben benachteiligt.

Vielen in der Studie Befragten sei außerdem auch gar nicht genau klar, was das Gendern überhaupt bewirken soll bzw. wofür es steht. Der eigentliche Hintergrund einer besseren sprachlichen Sichtbarmachung der Frauen werde daher oft nicht erkannt. „Dadurch entspinnt sich über das Gendern ein Stellvertreterkrieg gegen verschiedenste Gaps und Versäumnisse unserer Gesellschaft: von fehlender Integration des Weiblichen, mangelnder Diversität, dem Gender Pay Gap, bis hin zur mangelhaften Integration von Flüchtlingen und dem Problem des Rassismus. Alle diese Themen führen oft zu verbitterten Grabenkämpfen im Alltag“, heißt es in der Pressemittelung zur Studie. Ein männlicher 16-Jähriger beschreibt die angespannte Situation einem Interview so: „In der Schule bin ich schon aus dem Raum gegangen, weil alle sich angeschrien haben wegen einer Genderfrage.“

Sehnsucht nach verbindendem Miteinander

Dabei sehnen sich offenbar viele danach, die Zerrissenheit der Gesellschaft, die durch Krisen und Debatten der letzten Jahre entstanden ist, zu kitten und wieder zu einem besseren Miteinander zu finden. Psychologisch betrachtet könne diese Sehnsucht durch das Gendern paradoxerweise ebenso bedient aber auch konterkariert werden, so die Studienleiter_innen. Vor allem die Pause, die durch das Gendern im Sprachfluss erlebt wird, „ist wie ein holpriges, abruptes Loch“ (Interview-Zitat), das irgendwann vom Inhalt wegbringt und ablenkt. Dieses Loch beschreiben viele Befragte wie eine sprachliche „Stolperfalle“, die das Trennende eher verstärkt als aufhebt: „Durch die Gendersprache wird der Unterschied zwischen Männern und Frauen viel mehr dargestellt, das wird krasser auseinanderdividiert, das soll es doch gerade nicht“ (Zitat aus einem Interview).

Freundliche Erinnerung

Andere – insbesondere die jüngere Generation – sehen das Gendern aber als ein Zeichen für Toleranz und Modernität. Die Stolperfalle wird von ihnen als eine freundliche Erinnerung angesehen, die für ungelöste gesellschaftliche Probleme nicht nur in puncto Gleichberechtigung sensibilisiert. Sprache bilde Wirklichkeit ab, aber erschaffe sie auch, deshalb soll und kann das Gendern zumindest auf diese Defizite aufmerksam machen, so die Meinung der Gender-Befürworter_innen. Maßvoll eingesetzt fördere das Gendern somit ein besseres Miteinander.
„Gendern hat für mich etwas von einem Stolperstein, eine holprige Info die zeigt: wir haben hier eine Ungleichheit. Es ist gut, dass man über diesen sprachlichen Stolperstein stolpert, doch wenn man zu oft stolpert, verliert der Stein seine Funktion. Wenn es zu überladen ist, ist man ja nur noch mit dem Versuch beschäftigt, nicht hinzufallen.“ (Zitat aus einem Interview). Viele Befragte, die schon aktiv gendern, erzählten, dass auch sie die Stolperfallen zu Beginn sehr störend fanden, aber sich auch schnell daran gewöhnt hätten. Zur Spaltung komme es eher, wenn fehlendes Gendern zu aggressiv und zu strikt eingefordert wird. Was helfe, sei eine entspannte Haltung und flexible Umgangsformen.

Wann sollte gegendert werden?

Wann, wo und wie das Gendersternchen oder andere Gendersymbole verwendet werden sollten, hängt für die jungen Leute stark davon ab, in welchem Zusammenhang es passiert. Insbesondere in offiziellen Kontexten finden viele, dass das Gendern eine Form des Respekts ist, die mittlerweile zum guten Ton gehört und unbedingt zu empfehlen ist. So finden zum Beispiel mehr als 50% Gendern im Schriftlich-Öffentlichen, in der schriftlichen Kommunikation mit offiziellen Institutionen oder Behörden, bei Vorträgen/Konferenzen eher wichtig bis sehr wichtig. Im privaten Freundes-/Bekanntenkreis finden dies nur 26%. Hier sollte die Kommunikation flexibler gehandhabt werden.
Überhaupt wünscht sich eine Mehrheit der Studienteilnehmer_innen mehr Flexibilität, Toleranz, Humor und Fehlerkultur im Umgang mit der Genderdebatte, damit sich die gute Absicht nicht ins Gegenteil verkehrt.

Welche Genderformen kommen am besten an?

Laut den Studienergebnissen, sind all jene Genderformen zu empfehlen, die gesellschaftliche Lücken nicht zu deutlich sprachlich aufzeigen, sondern sich eher fluide in das sprachliche Gefüge eingliedern. Gendern sollte als freundliche Erinnerung verstanden werden, dass wir gesellschaftlich immer wieder erneut für mehr Inklusion und ein gutes Miteinander eintreten wollen. In der Umfrage schnitten demnach auch die ‚und‘ Formen, der Schrägstrich (als gelernter Teil der deutschen Sprache) und der Genderstern als ein Symbol für die Fußnote (alle, die nicht im Text genannt werden können, sind inkludiert) am besten ab. Der Unterstrich (wie wir ihn auch bei LizzyNet verwenden) ist dagegen unbeliebt, denn er versinnbildlicht für viele visuell den Gap, der nur Wunden aufreißt, die aktuell gesellschaftlich noch nicht geschlossen werden könnten.
Bei Stellenanzeigen ist fehlendes Gendern allerdings für viele ein No-Go, denn das lasse Arbeitgeber_innen  eher altmodisch und für jüngere Zielgruppen weniger attraktiv erscheinen. Wie sie das machen, das ist jedoch vielen relativ egal. Hauptsache, sie tun es. Eingebürgert hat sich hier das beigefügte (m/w/d). Auch sollte nicht explizit mit dem Thema geworben werden, sondern der Inhalt des Jobs im Vordergrund stehen.
Gendern solle aber nicht nur im Schriftlichen stattfinden, sondern sich auch in der Bildsprache zeigen, dabei jedoch nicht vorherrschen, denn Inhalt, Jobprofil und Atmosphäre stehen für viele deutlich im Vordergrund. Hüten sollten sich Jobanabieter_innen aber vor Klischees und Rollentypisierungen, denn die werden von der jungen Generation als diskriminierend empfunden und abgelehnt. Gleiches gilt übrigens für provokative Gleichstellungs-Kampagnen, die mit Stereotypen und Klischees spielen, auch das wirkt eher kontraproduktiv und macht Arbeitgeber_innen eher unattraktiv.

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Quellen:

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilungen - Stand: 23. März 2022