Stressige Erinnerungen
Warum wir uns an stressige Erlebnisse besser erinnern als an neutrale, untersuchte ein Team der Ruhr-Universität Bochum
Ist euch der letzte Fahrrad-Unfall, den ihr hattet, präsenter als der schöne Ausflug zum See am Tag danach? Habt ihr noch genau vor Augen, wie der Raum aussah, in dem ihr eine schlechte Nachricht erhalten habt, könnt aber nicht mehr sagen, welches Kleid eure besten Freundin bei ihrem achtzehnten Geburtstag trug? Wenn wir in unseren Erinnerungen kramen, finden wir oft eher Details aus stressigen Erlebnissen als aus neutralen Szenen. Warum das so ist, haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) untersucht. "Von stressigen Erlebnissen, etwa der eigenen Führerscheinprüfung, hat man in der Regel auch nach vielen Jahren detaillierte Bilder vor Augen", sagt Oliver Wolf. "Einen Spaziergang durch den Park am gleichen Tag vergisst man hingegen schnell wieder."
Stressige Erlebnisse mit Kaffeetasse
Anders als in vielen Laboruntersuchungen wollten die Forschenden in ihrem Experiment die Erinnerungsspur an ein reales Ereignis erfassen. Zu diesem Zweck griffen sie auf den sogenannten Trier Social Stress Test zurück. Dabei müssen die Teilnehmenden vor einem Bewerbungskomitee sprechen, deren Mitglieder völlig neutral schauen und kein positives Feedback geben. Solch ein Test löst bei den Teilnehmenden zuverlässig Stress aus.
Während der Bewerbungssituation im Versuch benutzte das Komitee eine Reihe von Alltagsobjekten; einer trank etwa einen Schluck aus einer Kaffeetasse. In einer Kontrollgruppe waren Proband_innen mit den gleichen Objekten konfrontiert, waren aber keiner Stresssituation ausgesetzt. Am Tag nach dem Test zeigten die Forschenden den Teilnehmenden beider Gruppen die Objekte und zeichneten gleichzeitig die Gehirnaktivität im Magnetresonanztomografen auf. Sie fanden heraus: Die gestressten Teilnehmenden erinnerten sich besser an die Objekte als Personen aus der Kontrollgruppe.
Neuronale Spuren von Objekten
Besonders die Gehirnaktivität in der Amygdala war für die Forschenden interessant. Diese Region ist unter anderem für das emotionale Lernen wichtig. Sie verglichen also die neuronalen Spuren von Objekten, die die Testpersonen in der Stresssituation gesehen hatten, mit denen von anderen Objekten, die nicht verwendet worden waren. Das Ergebnis: Die Gedächtnisspuren der verwendeten Objekte waren ähnlicher zueinander als die von nicht verwendeten Objekten. Dies war in der Kontrollgruppe nicht der Fall. Anders gesag: die Bilder der Objekte aus den Stresssituationen waren im Gehirn sehr eng miteinander verbunden und somit von anderen Erlebnissen abgegrenzt.
Worauf stressige Erinnerungen beruhen
Den Proband_innen wurden am Tag nach dem Stresstest aber nicht nur Bilder der Objekte aus der Bewerbungssituation gezeigt, sondern auch Fotos von den Personen des Bewerbungskomitees. Dabei erinnerten sie sich besonders gut an diejenigen Objekte, die mit einer Aktion eines Komitee-Mitglieds verbunden waren. "Die Komitee-Mitglieder lösten in der Interviewsituation den Stress aus. Es scheint also so zu sein, dass die Verbindung zwischen den Objekten und den Stressauslösern ausschlaggebend für die verbesserte Erinnerung war", folgert Nikolai Axmacher.
Der Mechanismus, der emotionale Erinnerungen verstärkt, scheint also darauf zu beruhen, dass wichtige Aspekte eines Erlebnisses auf neuronaler Ebene aneinandergebunden und damit ähnliche Spuren im Gehirn hinterlassen wie der Stressauslöser. "Dieses Resultat könnte ein wichtiger Baustein sein, um emotionale und traumatische Erinnerungen besser zu verstehen", so Anne Bierbrauer.
Die Ergebnisse beschreibt das Team um Anne Bierbrauer, Prof. Dr. Oliver Wolf und Prof. Dr. Nikolai Axmacher vom Institut für Kognitive Neurowissenschaft der RUB in der Zeitschrift Current Biology, online veröffentlicht am 14. Oktober 2021.
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 19. Oktober 2021