In der Ankündigung zum Buch stand, es gehe um eine "toxische Männlichkeitskultur" an einem Eliteinternat, es sei "ein schonungsloses Buch", "hochaktuell und beklemmend". Das hat mich sehr neugierig gemacht.
Aber erstmal zum Inhalt: Quinn, im Roman meist nur Q genannt, ist völlig von der Rolle. Sie hat vor - so erfahren wir aus ihrer Perspektive - von einem Sicherheitsmitarbeiter des Elite-Internats, in dem sie Schülerin ist, einen Revolver zu klauen, um einen ihrer Mitschüler zu töten. Es beginnt wie ein Krimi. Warum sie das tun will und was dazu geführt hat, erfahren wir erst nach und nach.
Auch die Schülerin und begabte Balletttänzerin Charlotte kommt zu Wort und Max, ein nerdiger Elftklässler. Sie alle sind Teil einer Internatskultur, in der erfolgreiche Sportler das Sagen haben und Mädchen Beute sind, die es zu erobern gilt. Wenn der Roman auch krimimäßig beginnt, entwickelt sich die Geschichte zunächst zu einer scheinbar banalen und etwas langatmigen Internatsgeschichte, in der es darum geht, wer mit wem und warum. Charlotte ist mit Seb zusammen, dem obercoolsten Sportlertyp und Max, der kein bisschen cool ist, steht auf ein Mädchen, die eigentlich in einer anderen Liga spielt, wenn man der Logik der Internatskultur folgt. Zwischendurch erfahren wir immer wieder aus der Perspektive von Q, wie sie daran scheitert, zu äußern, was passiert ist und die immer mehr den Boden unter den Füßen verliert. Hierdurch entsteht durchaus eine Spannung, die einen weiterlesen lässt, auch wenn einen das Internatsgeplänkel (wer wird zum Ball eingeladen und warum), in den Wahnsinn treiben könnte.
Ich bin bei diesem Buch sehr zwiegespalten. Auf der einen Seite strotzt es vor Klischees. Die weiblichen Hauptfiguren tanzen entweder Ballett oder sind künstlerisch begabt, die begehrtesten Jungs sind sportlich und gut aussehendend, aber charakterlich mies, die netten Jungs interessieren sich für Physik und Natur, sind aber nicht gefragt. Das größte Drama der ehrgeizigen Charlotte ist, wenn ihr toller Typ ein Date um einen Tag verschiebt - welch eine Katastrophe - und das ist dann Grund für größtmögliche Eifersucht. Irgendwie geht es um toxische Männlichkeit und fiese Strukturen, aber die weiblichen Hauptfiguren beschäftigen sich trotzdem mehr mit ihren Outfits und ob und wenn ja wann "es" passiert, dass einem schlecht werden könnte. Das mag Absicht sein, um genau dieses Gefüge darzustellen, es liest sich über die langen, langen Seite aber trotzdem so, als wäre es das, was erfolgreiche junge Frauen selbstverständlich am meisten interessiert oder interessieren sollte. Auch die Rolle der Erwachsenen in diesem Roman - hier der ignorante Rektor, der alles unter den Teppich kehren will, dort die engagierte Kunstlehrerin - erschien mir irgendwie klischeehaft. Auch wenn es vielleicht wirklich so ist, wenn man es immer nur so beschreibt, bleibt es auch so.
Sehr gut gefallen hat mir aber insgesamt doch die Auflösung des Ganzen. Denn schlussendlich geht es nicht mehr um Rache, Mord und Selbstzerstörung, sondern um die Geschichte einer Heilung dank Freundschaft, Solidarität, professioneller Hilfe und natürlich dem Brechen des Schweigens. Dass dabei auch die weiblichen Figuren ihre Begeisterung für ätzende Typen hinterfragen lernen, ist ein weiterer Pluspunkt.
Die Autorin hat eigene Erfahrungen in diesem Buch verarbeitet und es war ihr wichtig, einen Weg aus der Abwärtsspirale zu zeigen. Ich finde, das ist ihr durchaus gelungen. Insgesamt hätten es für meinen Geschmack weniger Seiten (weniger Ballettposen, weniger Candlelight-Dinner, weniger Dates) auch getan und die Geschichte hätte viel radikaler sein können. Vielleicht ist es dem geschuldet, dass sich Internatsgeschichten gerade so gut verkaufen, denn durch das Cover könnte mal leicht eine thriller-angehauchte Academy-Romance erwarten können und das sollte es ja nun ganz und gar nicht sein.
Autorin / Autor: Luthien - Stand: 6. Dezember 2023