Das Bedürfnis zu verstehen
Psychologische Studie zur Faszination von True Crime Formaten
Warum sind so viele Menschen - inbesondere Frauen - so fasziniert von Formaten, die wahre Verbrechen behandeln? Lieben sie den Thrill, den Blick in die Abgründe der menschlichen Seele, betreiben sie damit aktive Angstbewältigung, oder was treibt sie an, sich so zeitintensiv mit brutalen Morden und schrecklichen Verbrechen zu beschäftigen?
Eine Studie der Uni Graz hat nun auch für Österreich belegt, was Studien im anglo-amerikanischen Raum schon öfter gezeigt haben: Dass der True-Crime-Konsum von Frauen deutlich höher ist als der von Männern. Der durchschnittliche True-Crime-Konsum in der österreichischen Studie lag bei den Frauen um die sieben Stunden, bei den Männern um die vier Stunden pro Woche. In der Studie ging es aber vor allem warum, was hinter der morbiden Faszination steckt. In einer Online-Befragung befragten die Psychologin Corinna Perchtold-Stefan und ihr Team rund 600 Personen unter anderem zu ihren Motiven für die Beschäftigung mit wahren Verbrechen. „75 Prozent der Befragten führten an, die Psychologie hinter den schrecklichen Taten verstehen zu wollen. 30 Prozent nannten allgemeine Neugier als einen Beweggrund, knapp 28 Prozent ein grundlegendes Interesse am Justizsystem, an Polizeiarbeit und kriminalistischen Ermittlungen“, fasst Perchtold-Stefan zusammen.
Die Bedrohung kennen
Das von den meisten Studienteilnehmer:innen angeführte Motiv zeigt: „True-Crime-Konsum steht im Zusammenhang mit dem Bedürfnis, Unsicherheit aufzulösen. Die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen, der Versuch, es zu verstehen, macht die Gefahr greifbarer und damit erträglicher. Sie vermittelt das Gefühl, die Bedrohung zu kennen und somit im Alltag besser darauf vorbereitet zu sein“, erklärt Perchtold-Stefan.
Im MR-Scanner blickten die Psycholog:innen zusätzlich in das Gehirn von 130 True-Crime-Fans. „Wir sahen, dass sie besonders viele Verbindungen in jenen Regionen aufweisen, die mit dem Bedürfnis, Neues zu erfahren, zu lernen, zu verstehen assoziiert sind. Das Gleiche gilt für Gehirnregionen, die mit Gerechtigkeitssinn und moralischen Überlegungen, Empathie sowie kreativer Emotionsregulation in Zusammenhang stehen“, berichtet die Projektleiterin. Letzteres meint die Fähigkeit, emotionale Zustände kontrollieren zu können.
Training zur Angstbewältigung?
„True-Crime-Fans zeigen eine höhere Fähigkeit, mit Angst und Stress im Alltag umzugehen. Das könnte auf einen Trainingsmechanismus durch die spielerische Auseinandersetzung mit dem Verbrechen hindeuten“, so Perchtold-Stefan. Allerdings brauche es noch weitere Studien, um diese Vermutung zu überprüfen. Ziel ist, eine Längsschnitt-Untersuchung durchzuführen: „Wir möchten beobachten, wie sich das Erleben und Verhalten, das Sicherheitsempfinden, Aggressivität und der Umgang mit Emotionen über Jahre hinweg entwickeln“, plant die Psychologin. Macht die intensive Beschäftigung mit True Crime paranoider, gestresster, aggressiver? Oder kann sie manchen Menschen helfen, Angst und Stress besser zu bewältigen? Diese Fragen hofft Perchtold-Stefan mit längerfristigen Forschungen zu beantworten.
Das Projekt „Horror als kreative Emotionsregulation“ ist die erste großangelegte empirische Studie zu True-Crime-Konsum. Sie wurde aus dem Programm „Unkonventionelle Forschung“ des Landes Steiermark gefördert.
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 10. Februar 2025