Unerhörte Wut
Bei vielen emotionalen Reizen dominiert das, was wir sehen
Eine gute Nachricht für alle, die sich von ihrer Freundin, ihrem Partner, den Eltern oder wem auch immer missverstanden fühlen: Wenn eure GesprächspartnerInnen im Internet oder vor dem Fernseher in einen spannenden Beitrag versunken sind, während ihr euch mit ihnen unterhalten möchtet und sie auch auf eure dritte Frage – inzwischen in deutlich verärgertem Ton – noch immer nicht reagieren, dann ist das offenbar kein Desinteresse. Ein derart vertiefter Mensch kann die andere Person in dieser Situation gar nicht hören, erklärt PD Dr. Thomas Straube von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Grund: Die Konzentration auf eine visuelle Aufgabe blockiert in diesem Augenblick die Aufnahme und Verarbeitung der Hörreize, erläutert der Psychologe vom Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie. Zu diesem Ergebnis sind Straube und seine Kollegen in einer aktuellen Studie gekommen, die die in der am 29. Juni 2011 erschienenen Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht wird.
„Bisher sind wir davon ausgegangen, dass soziale emotionale Reize – insbesondere Wut – vom Gehirn automatisch verarbeitet werden“, sagt Martin Mothes-Lasch aus Straubes Team. Schließlich könnten sie ein Hinweis auf eine mögliche Gefahrenquelle sein, so der Erstautor der Studie weiter. Gefahren zu erkennen, gehöre zu den überlebensnotwendigen Fähigkeiten eines jeden Organismus. Auch der Mensch ist mit dieser Fähigkeit ausgestattet. „Spricht jemand in hörbar wütendem Tonfall zu uns, wird unser Gehirn in Alarmbereitschaft versetzt“, erläutert Doktorand Mothes-Lasch. Das funktioniere allerdings nur, wenn wir nicht von visuellen Informationen abgelenkt sind.
Wütende Stimmen führen zu größerer Hirnaktivität
In der Studie haben die Jenaer Psychologen Versuchspersonen verschiedene Begriffe hören lassen, die entweder von einer wütenden oder einer neutralen Stimme gesprochen wurden. Gleichzeitig bekamen die ProbandInnen auf einem Bildschirm zwei verschiedene Symbole angezeigt. Während sie so schnell wie möglich entscheiden mussten, ob sie eine männliche oder eine weibliche Stimme gehört haben und ob das gesehene Symbol ein Kreuz oder ein Kreis war, wurde die Gehirnaktivität der Versuchspersonen mittels Kernspintomographie aufgezeichnet.
„Es zeigte sich deutlich, dass eine wütende Stimme eine deutlich höhere Aktivierung der Gehirnregion zur Folge hat, die für die Verarbeitung emotionaler Reize zuständig ist“, sagt Mothes-Lasch. „Und zwar unabhängig davon, ob diese Stimme männlich oder weiblich ist.“ Offenbar habe die Stimmfärbung eine wichtige Signalwirkung. Die Aktivierung dieser Gehirnregion bleibt aber komplett aus, wenn sich die ProbandInnen beim Hören der Stimme auf die visuelle Aufgabe konzentrieren müssen. Die Forscher erklären sich das Phänomen so, dass eine automatische Verarbeitung emotionaler Reize an ihre Grenzen stößt, sobald das Gehirn mehrere Informationen bekommt. Ist ein gewisse Grenze der Aufnahmefähigkeit überschritten, dann hat Gesehenes offensichtlich Vorrang vor Gehörtem.
Wenn ihr euch also das nächste Mal "unerhört" ignoriert fühlt, probiert doch einfach mal aus, zuerst den Blick eures Gegenübers auf euch zu lenken, bevor ihr eure Stimmbänder strapaziert ;-).
Autorin / Autor: Pressemitteilung / Redaktion - Stand: 29. Juni 2011