„Klimahysterie“ ist Unwort des Jahres
Jury-Kritik: Der Ausdruck verunglimpft Engagment für den Klimaschutz als kollektive psychische Erkrankung und schürt wissenschaftsfeindliche Tendenzen
"Klimahysteriker*innen" auf einer Fridays for Future Demonstration
Reale Probleme kleinreden, engagierte Menschen für hysterisch erklären, Diskussionen als übertrieben und unnötig abkanzeln. Der Ausdruck "Klimahysterie" wurde 2019 von vielen in Politik, Wirtschaft und Medien – von der F.A.Z. über Unternehmer bis hin insbesondere zu AfD-Politikern – verwendet. Weil er den Eindruck erweckt, das zunehmende Engagement für den Klimaschutz sei eine Art kollektive psychische Erkrankung und weil er wissenschaftsfeindliche Tendenzen schürt, hat er das Rennen um den Negativpreis gemacht und wurde zum 29. "Unwort des Jahres" gekürt.
Die sprachkritische Jury kritisierte außerdem als Unwörter im Jahr 2019:
*„Umvolkung“*
Der Ausdruck „Umvolkung“ erhielt 2019 durch ein ZDF-Interview mit dem neuen AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla größere Aufmerksamkeit. Es handelt sich um einen Schlüsselbegriff einer rechtsextremen Verschwörungstheorie. Diese behauptet, dass es einen geheimen Plan (der sog. Eliten) gebe, die weiße Mehrheitsbevölkerung in Europa, Australien/Neuseeland und den USA durch (vornehmlich muslimische)Flüchtlinge und andere nicht-weiße Einwanderer auszutauschen. Sie ist fester Bestandteil der Ideologie der AfD und bildet die Grundlage für ein politisches Programm, das auf die kulturelle Homogenität der Bevölkerung zielt und zugewanderte Menschen insofern diskriminiert, als sie als gefährliche, sich schnell vermehrende „Austausch“-Masse dargestellt werden.
Außerdem fiel der Ausdruck *„Ethikmauer“* negativ auf. Er steht (wie z.B. auch „Moralkeule“) exemplarisch für Ausdrücke, die jede moralisch-ethische Argumentation als ein Zeichen naiver Fortschrittsverweigerung diskreditieren. Er wurde in einem Kommentar der Zeitung „Die Welt“ am 1. August 2019 verwendet. Der Kommentar bezog sich auf eine Meldung über japanische Forschungen zur Züchtung menschlicher Organe in Tieren zu therapeutischen Zwecken. Gegenüber der Kritik an solcher Forschung vermerkt der Autor: „Bei dieser Forschung zum Wohl des Menschen kann man sich nicht hinter einer Ethikmauer verstecken."
*Unwort-Statistik 2019*
Die Jury erreichten 2019 insgesamt 671 Vorschläge für potentielle Unwörter.
Darunter waren 397 verschiedene Ausdrücke, von denen knapp 50 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.
*Die Jury*
Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier SprachwissenschaftlerInnen Prof. Dr. Nina Janich/Sprecherin (TU Darmstadt), Prof. Dr. Kersten Sven Roth (Universität Magdeburg), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Autor und freien Journalisten Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Kabarettist Urban Priol beteiligt.
*Über die Aktion "Unwort des Jahres"*
Die Aktion "Unwort des Jahres" möchte durch ihre kritische Beleuchtung des öffentlichen Sprachgebrauchs das Bewusstsein und die Sensibilität für Sprache in der Gesellschaft fördern. So untersucht sie Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die zum Beispiel gegen das Prinzip der Menschenwürde oder der Demokratie verstoßen, oder solche, die einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder verschleiernd und irreführend sind. Dazu kommt, dass die in die Bewertung einfließenden Formulierungen öffentlich geäußert wurden und eine gewisse Aktualität besitzen. Jede_r kann zum 31.12. eines jeden Jahres schriftlich Unwortvorschläge mit einer kurzen Begründung an die Jury einreichen.
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 14. Januar 2020