Entwürdigender Sprachgebrauch
Unwort des Jahres 2013 lautet "Sozialtourismus"
Sprache ist bekanntlich nicht nur eins der wichtigsten Kommunikationsmittel, sie wird leider auch oft dazu benutzt, das Gegenteil ihres Zwecks - nämlich Verständigung - zu bewirken. Um uns diese Tatsache vor Augen zu führen und uns zu einem bewussteren Umgang mit Sprache zu ermahnen, kürt eine Jury in jedem Jahr das sogenannte "Unwort", einen Begriff, der in der Gesellschaft und /oder von den Medien meist unkritisch verwendet wird und nicht selten ganze Gruppen von Menschen diffamiert und diskriminiert. In diesem Jahr entschied sich die Jury für eine Vokabel, die in der aktuellen Diskussion um die Zuwanderung von Menschen nach Deutschland ganz oben steht: das Wort "Sozialtourismus". In der Begründung heißt es "...in diesem Zusammenhang wurde von einigen Politikern und Medien mit dem Ausdruck „Sozialtourismus“ gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht."
Das Grundwort „Tourismus“ suggeriere in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen
und der Erholung dienende Reisetätigkeit, lautet es weiter. Und das Bestimmungswort „Sozial“ reduziere die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Das diskriminiere Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiere ihr prinzipielles Recht hierzu, lautet das Urteil der Jury.
Dabei hätten die SprachwissenschaftlerInnen noch mehr Auswahl gehabt, denn der Ausdruck „Sozialtourismus“ steht für ein ganzes Netz weiterer Unwörter, die alle die gleiche diskrimierende Wirkung erzielen. Eins dieser Wörter ist „Armutszuwanderung“; auch wenn dieser Begriff im Moment als vermeintlich sachlich-neutraler Ausdruck verwendet wird, dürfe man nicht vergessen, dass er ursprünglich im Sinne von „Einwanderung in die Sozialsysteme“ diffamierend gemeint war. "Mit `Freizügigkeitsmissbrauch´ wird denjenigen, die die in der EU jetzt auch für Menschen aus Bulgarien und Rumänien garantierte Freizügigkeit nutzen, ein kriminelles Verhalten unterstellt. Der Ausdruck `Sozialtourismus` treibt die Unterstellung einer böswilligen Absicht jedoch auf die Spitze", schreiben die JurorInnen.
*Unwort-Statistik 2013*
Für das Jahr 2013 wurden 746 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 1340 Einsendungen. Die häufigsten Einsendungen (über 10 Einsendungen), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren Supergrundrecht (45mal), Homo-Ehe (19mal), Ausschließeritis (16mal) und Armutszuwanderung/-einwanderung (15mal). Außer Konkurrenz liefen Einsende-Kampagnen zu den Wörtern Schnabelbehandlung (218mal eingesendet) und Umstrittene Verhörmethode (26mal eingesendet).
Die Jury der institutionell unabhängigen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Dr. Nina Janich/TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Zürich), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Autor und Journalisten Stephan Hebel.
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