Vergiftetes Diskussionsklima

Studie: Beleidigende Postings durch "Internet-Trolle" verhindern zunehmend ernsthafte politische Diskussionen bei Twitter

Hass, Spott, beleidigende und ausfallende Postings - verfasst von sogenannten Internet-Trollen - gefährden die Qualität der politischen Diskussionen bei Twitter offenbar stärker als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen die Mannheimer Sozialforscher in einer international vergleichenden Studie gemeinsam mit ihren Kollegen von der University of Southern California und der Universität Oslo. Expert_innen sehen in Trollen zunehmend ein Problem, insbesondere was die politische Diskussionskultur betrifft. Das Magazin „New Yorker“ erklärte 2016 jüngst sogar zum „Jahr des politischen Trolls“.

*"Teilweise ist das Diskussionsklima bei Twitter regelrecht vergiftet"*
„Politikern wird häufig vorgeworfen, dass sie Twitter lediglich als Sprachrohr verwenden, um ihre politischen Botschaften unter das Volk zu bringen, und sich nicht auf Diskussionen einlassen. Wie unsere Studie zeigt, stimmt das auch in vielen Fällen. Dabei wäre Twitter hervorragend für den direkten und öffentlichen Dialog mit dem Wähler geeignet“, konstatiert Dr. Yannis Theocharis, einer der Studienautoren. Die Forscher_innen sind überzeugt, dass Postings von Trolls ein wichtiger Grund für die Einbahnstraßenkommunikation vieler Politiker sind: „Warum sollte sich ein vielbeschäftigter Abgeordneter oder jemand aus seinem Wahlkampfteam auf Twitter-Diskussionen einlassen, wenn das möglicherweise nur Boshaftigkeiten in Form von Hass oder Häme zur Folge hat? Teilweise ist das Diskussionsklima bei Twitter regelrecht vergiftet. Da erscheint es lohnender, nur ein paar politische Schlagworte abzusetzen, anstatt das Gespräch zu suchen.“ Das Potenzial von Twitter als Diskussionsmedium bleibe so allerdings ungenutzt, stellt Theocharis fest, was aus demokratietheoretischer Sicht bedauerlich sei.

*Vor allem diskussionswillige Politiker_innen werden mit Häme überschüttet*
Die Wissenschaftler_innen haben für ihre Studie Hunderttausende Tweets von Europawahlkandidaten und deren Diskussionspartnern von deutschen, griechischen, spanischen und britischen Politiker_innen ausgewertet und dabei herausgefunden, dass Politiker_innen bei Twitter häufig Beleidigungen, Spott und anderen verbalen Angriffen ausgesetzt sind. Allerdings war auch offenkundig, dass Wahlkandidat_innen Twitter tatsächlich häufig nur nutzen, um ihre Botschaft abzusetzen, anstatt zu diskutieren. „Beides war in dieser Form zu erwarten. Besonders bedenklich ist aber, dass vor allem diejenigen Politiker zur Zielscheibe von Trollen werden, die Twitter tatsächlich als Diskussionsmedium nutzen und nicht nur als Sprachrohr zur Selbstdarstellung“, so der Sozialforscher Dr. Sebastian Adrian Popa.

*Twitter als Ort demokratischer Diskussionskultur zerstört?*
Diskussionsfreudigere Politiker_innen könnten laut den Forscher_innen aber auch wegen ihrer politischen Positionen häufiger von Hass- und Spottkommentaren überhäuft werden. Denn selbst wohlüberlegt formulierte Einladungen zur Diskussion bei Twitter würden die Gefahr eines Kommunikationsdesasters bergen. Ein Beispiel dafür fanden sie bei Hillary Clinton; sie bat vor einiger Zeit Jugendliche via Twitter, sich mit Hilfe von Emojis zum Thema Studienkredite zu äußern und erntete eine Welle von Anfeindungen. Solche Erfahrungen trügen dazu bei, dass Politiker_innen Twitter oftmals eben nicht zur Diskussion, sondern lediglich als Kanal für Verlautbarungen nutzten, so die Studienautor_innen. „Wir müssen uns daher von zu hohen Erwartungen an Twitter als Ort demokratischer Diskussionskultur verabschieden“, fürchtet Theocharis, der seit Jahren zu Social Media und politischer Kommunikation forscht. „Und daran tragen definitiv nicht nur Politiker, sondern auch Internet-Trolle eine Mitschuld.“

Tipps zum Umgang mit Trollen in sozialen Netzwerken

Quelle

Autorin / Autor: Pressemitteilung/ Redaktion - Stand: 22. November 2016