Warum kaufen wir?
In diesem Artikel beschäftigt sich Charly mit der Psychologie hinter unserem Konsumverhalten
Wenn ich morgens vor meinem Schrank stehe, fällt mir immer häufiger auf, ich hab zu viele Klamotten. Wäre meine gesamte Wäsche gewaschen, würde ich sie nicht in meinem Schrank unterbringen können und das, obwohl ich regelmäßig aussortiert und über die letzten Jahre meinen Kleiderkonsum stark zurückgeschraubt habe. Kleidung, die kaputt geht, wird durch höherwertige und auch weniger Kleidung ersetzt. Ich versuche Fast Fashion aus meinem Kleiderschrank zu verbannen, aber die Menge an Kleidung scheint nicht weniger zu werden. Einige meiner Familienmitglieder kaufen immer mehr Kleider und Schuhe, Oberteile, Hosen und Schuhe, obwohl sie wissen, dass sie davon bereits zu viel besitzen. Offenbar können sie gar nicht anders. Doch woher kommt dieser Drang, immer mehr Kleidung zu kaufen?
Tim Jackson und die sechs Gründe für Konsum
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, begann ich meine Odyssee der Recherche und arbeitete mich durch Artikel darüber, wie man Menschen zum Kaufen bewegt und welche Bedeutung Farben in dem Zusammenhang haben, sah PDF-Dateien von Doktorarbeiten durch, solange bis ich sogar meine ursprüngliche Fragestellung überarbeitete. Dann stieß ich auf den Namen Tim Jackson.
Nach einer weiteren, aber diesmal deutlich kürzeren, Recherche fand ich heraus, dass Tim Jackson Professor am Centre for Environment and Sustainability an der Universität von Surrey ist. Er ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Jackson arbeitete bereits mit der britischen Regierung zusammen, den United Nations der EU und vielen anderen. Er veröffentlichte schon mehrere Bücher. Das letzte erschien 2021 unter dem Titel "Post Growth. Life after Capitalism". Er erreichte noch sehr viel mehr in seinem Leben, aber um dies zu erläutern, müsste ich einen Artikel nur über ihn schreiben.
Laut Jackson gibt es sechs Gründe, aus denen wir konsumieren. Tim Jackson sagt, dass Konsum grundsätzlich erstmal dazu dient, unsere Grundbedürfnisse zu decken. Aber Konsum geht ja weit über die Abdeckung unserer Grundbedürfnisse. Darauf beziehen sich die restlichen fünf Gründe, die Jackson nennt.
Warum macht Konsum glücklich?
Laut Jackson erhöhen wir durch Konsum unser Wohlbefinden. Klingt schlüssig. Eine Shopping-Tour zum Vergnügen, oder weil man unglücklich ist, so etwas habe ich in der Vergangenheit oft gemacht. Kleidung zu kaufen, macht also glücklich. Um genau zu sein, wird beim Kauf von neuen Dingen in unserem Gehirn das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet, welches das Belohnungssystem aktiviert. Ein ähnlicher Ablauf findet in unserem Gehirn statt, wenn wir Drogen konsumieren.
Über die Zeit verknüpfen wir Glücksgefühl und Einkauf bzw. Shoppen miteinander. Diese Form von Glück, also die Kombination von Konsum und Dopamin, hält nicht lange vor. Deshalb kaufen wir wieder und wieder, um dieses Glücksgefühl erneut zu erleben.
Konsum zur Steigerung von Attraktivität und Zuneigung?
Gleichzeitig wollen wir unsere Attraktivität und die Zuneigung, die wir von anderen bekommen, durch Konsum steigern. Dies entspringt dem menschlichen Bedürfnis, begehrt zu werden. Dem Ganzen liegt eine biologische Erklärung zugrunde, nach der wir in einem sozialen und sexuellen Wettbewerb mit anderen konkurrieren.
Um diesen Satz herunter zu brechen: Wir kaufen, um uns selbst begehrenswert zu machen und dafür zu sorgen, dass uns andere Leute mögen. Aber was hat es mit dieser Konkurrenz auf sich? In jeder Art herrscht eine sogenannte intraspezifische Konkurrenz zwischen den einzelnen Individuen. Dabei geht es um Nahrung, Nistplätze, allgemein Wohnraum oder um Partner für die Fortpflanzung. Diese intraspezifische Konkurrenz gibt es auch bei uns Menschen. Bei uns steht jedoch vieles in Wechselwirkung mit unserem sozialen Umfeld und der Kultur, in der wir aufwachsen, was zu unterschiedlichen Verhaltensweisen innerhalb unserer Art führt.
Jackson sagt, dass wir unsere Konkurrent_innen in Bezug auf den sozialen und sexuellen Wettbewerb mithilfe von Konsum ausstechen wollen, nach dem Motto "ich habe viel und das verbessert meine Chancen auf einen guten sozialen Status und auf einen Partner".
Konsum als Teil unserer Identität
Konsum schafft aber auch Identität und Zugehörigkeit. Es entsteht eine starke Verbindung von persönlicher und kollektiver Identität, also eine Verknüpfung der eigenen Identität und der einer Gruppe. Kleidung ist hier ein wichtiger Teil der Identitätsbildung. Während der Identitätsbildung findet man heraus, wer man ist, was man liebt und was man im Gegenzug nicht ausstehen kann.
Besonders Teenager befinden sich in dieser Phase. Geht frau nach dem Stufenmodell des Psychoanalytikers Erik H. Erikson, befinden sich Zwölf- bis Achtzehnjährige in der Phase Identität vs. Rollendiffusion. Dazu muss frau erklären, dass Erikson davon ausging, dass jeder Mensch das von ihm entworfene Stufenmodell durchläuft. Jede Stufe entspricht etwa einem Lebensabschnitt.
Dabei kann eine Stufe entweder positiv oder negativ ausgehen. Das bedeutet in diesem Fall, dass Teenager entweder lernen, ein festes Vertrauen in ihre eigene Person zu haben, also eine Identität entwickeln, oder im negativen Fall, sie sich selbst als bruchstückhaft wahrnehmen und kein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln können, ergo die Rollendiffusion eintritt.
Kleidung hilft ihnen dabei, denn ähnlich wie Musik und auch Lebensmittel trägt diese dazu bei, sich mit einer sozialen Gruppe zu identifizieren, sich zu positionieren und sich von anderen Gruppen zu unterscheiden. Wir kleiden uns, um uns selbst auszudrücken und damit wir das Gefühl haben, dazuzugehören. Wir alle dürften dieses Bedürfnis, uns auf eine bestimmte Art und Weise zu kleiden, gut kennen. Auch Konzerne wissen dies, und wie sie es für sich nutzen können. Erst jetzt fällt mir so richtig auf, wie viele Marken gleichzeitig einen bestimmten Lifestyle vermitteln. Zum Beispiel Vans als klassische Skatermarke oder Dr. Martens oder S.Oliver oder Nike oder, oder, oder. Eigentlich tut dies jede größere Kleidungsmarke, und die ganz Großen haben es perfektioniert, uns, ihren Käufer_innen, ein Gefühl von zugehörigkeit und Identität zu vermitteln. Dafür werden übrigens auch Farben eingesetzt, sowie viele weitere Strategien. Es muss aber nicht immer teure Kleidung sein. Fast Fashion erzeugt denselben Effekt, ist aber gerade für junge Leute häufig erschwinglicher. Ein Grund, warum ich Fast Fashion- leider immer noch - kaufe.
Die gesellschaftliche Bedeutung von Konsum
Dies führt direkt zu Jacksons nächstem Punkt: der gesellschaftlichen Bedeutung, die Konsum verschaffen kann. Dabei zählt, wer sich mehr und teurere Sachen leisten kann, grenzt sich von denen ab, die dies nicht können. Wenn ich mir ein neues und teureres Auto leisten kann als mein Nachbar, stehe ich gesellschaftlich besser da als er. Dies passiert auch in Bezug auf Kleidung. Läuft frau in Chanel herum, zeigt sie, dass sie einen höheren gesellschaftlichen Status hat als die Menschen die zu H&M oder C&A gehen müssen.
Konsum aus Gewohnheit
Als letzten Punkt nennt Jackson die Gewohnheit. Laut ihm konsumieren wir unbewusst. Dieses Verhalten übernehmen wir von unseren Eltern und unserem Umfeld. Durch dieses Nicht-Hinterfragen und Übernehmen von Konsummustern entsteht in unserer Gesellschaft eine kulturelle Abhängigkeit. Wir gewöhnen uns daran, immer ein bestimmtes Niveau an materiellen Gütern zur Verfügung zu haben. Auch Markenkleidung gehört dazu. Mir wurde beigebracht, wenn du unglücklich bist, geh los und kauf dir was Schönes. Dies wurde mir nicht nur gesagt, sondern auch vorgelebt von verschiedenen Menschen. Einigen von euch dürfte es ähnlich gehen. Wir kaufen, weil wir es gewohnt sind und auch weil wir einen gewissen Lebensstandard für normal erachten.
Ist Konsum grundsätzlich schlecht?
Jetzt nach all den Recherchen und Überlegungen, die ich zu diesem Artikel angestellt habe, kommt Konsum mir persönlich als etwas Schlechtes vor, hinter dem viel Manipulation steckt. Aber ist Konsum deshalb grundsätzlich falsch? Die Antwort lautet nein.
Drei Forscher der Universitäten of British Columbia, of Virginia und Harvard, führten zahlreiche Studien zu dem Thema durch und fanden heraus, dass es nicht darauf ankommt, ob wir konsumieren, sondern wie wir konsumieren. Ich habe drei Punkte herausgesucht, welche nützlich sein können, um besser zu konsumieren. Erstens: keine materiellen Sachen kaufen, sondern Erlebnisse. Laut den Wissenschaftler_innen werden materielle Gegenstände schnell langweilig, aber Erinnerungen an Erlebnisse, wie einen Urlaub, ein Konzert oder ein schönes Abendessen, machen auf lange Sicht glücklicher.
Genau wie anderen zu helfen, anstatt immer nur für sich selbst zu kaufen, denn wenn wir Gutes tun, wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet, welches das Belohnungssystem unseres Gehirns aktiviert. Ihr denkt euch jetzt sicher “Hey, das hab ich doch schon mal gehört?”. Richtig. Dopamin wird auch beim Shoppen ausgeschüttet. Der wichtige Unterschied ist eben, dass Erinnerungen, anders als Gegenstände, nicht langweilig werden und somit immer für eine Dopaminausschüttung in unserem Gehirn sorgen.
Beim dritten und letzten Punkt geht es um Vorfreude. Häufig macht die Vorfreude auf etwas mehr Freude als das Erlebnis selber. Für unseren Konsum bedeutet dies, vorher bezahlen macht glücklicher. Verschiebt man die Zahlung, zum Beispiel durch eine Kreditkarte, dimmt dies die Vorfreude und somit auch die Freude über das Produkt selbst.
Das Schlusswort
Durch die Recherche zu diesem Artikel habe ich eine Menge über Konsum gelernt, und mir ist klar geworden, warum einige Menschen in meinem Umfeld immer weiter Kleidung kaufen, und auch, wie ich meinen eigenen Konsum nicht nur weiter verbessern, sondern auch hinterfragen kann.
Am Ende geht es uns Menschen nur darum, unsere Form von Glück zu finden und dies in einer Gesellschaft zu bewerkstelligen, die immer schneller und immer mehr konsumiert, kann schwierig, bis unmöglich erscheinen.
Aber das ist es nicht. Wir müssen nur lernen, uns und unsere Umwelt zu verstehen und zu reflektieren.
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Autorin / Autor: Charlotte Jakobeit - Stand: 15. Juni 2022