Was SchülerInnen stresst
Studie: Nachdenken ist entspannter als Wissen aufsagen
Schule bedeutet heute für Viele von euch Stress, aber was genau ist eigentlich stressig? Ein unangekündigter Wissenstest, bei dem abgefragt wird, was ihr gelernt habt, oder wenn ihr eine Aufgabe lösen sollt, bei der eure Kombinationsgabe gefragt ist? Diese Frage stellte sich die Wissenschaftlerin Dr. Nina Minkley von der Ruhr-Universität Bochum und analysierte die Menge des Stresshormons Cortisol im Speichel von SchülerInnen in unterschiedlichen Prüfungssituationen.
Dafür hatte sie zwei zehnminütige Tests konzipiert. Einer enthielt nur Aufgaben, in denen Schülerwissen aus dem Gedächtnis abgerufen werden sollte. Im anderen Test sollten die TeilnehmerInnen einen eigenen Lösungsansatz erarbeiten oder Wissen auf eine neue Situation übertragen. An beiden Tests nahmen je circa 25 BiologieschülerInnen aus der Oberstufe teil, die für einen molekularbiologischen Kurs ins Schülerlabor der Ruhr-Universität gekommen waren. Die Testfragen bezogen sich auf Inhalte, die sie im Rahmen des Kurses unmittelbar zuvor gelernt hatten. Vor und nach dem Test sammelte Nina Minkley Speichelproben aller Probanden, um zu bestimmen, wie sich der Cortisolspiegel durch den Test veränderte.
Das Ergebnis verblüffte sie selbst: Die Aufgaben, die problemlösendes Denken erforderten, hatten die SchülerInnen offenbar weniger gestresst als die reproduktiven Aufgaben, bei denen sie Wissen aus dem Gedächtnis wiedergeben mussten.
*Auch das Selbstbild beeinflusst den Stresshormonspiegel*
In einer zweiten Studie untersuchte Nina Minkley, wie das Selbstbild von der eigenen Lernfähigkeit, vom eigenen Können, die Stresswahrnehmung und den Cortisolspiegel beeinflusst. Um das Fähigkeitsselbstkonzept für das Fach Biologie zu erfassen, bewerteten die SchülerInnen Aussagen wie zum Beispiel „Biologie fällt mir leicht“ oder „Ich weiß häufig die Antworten auf Fragen im Fach Biologie“. Später absolvierten sie einen Test, der wieder von Speichelproben für die Cortisolanalyse begleitet wurde.
Hier entsprach das Ergebnis den Erwartungen: Je schlechter die SchülerInnen ihr Biologiekönnen einschätzten, desto höher war der Stresshormonpegel im Speichel. Allerdings hatte die subjektive Angabe, wie gestresst sich die SchülerInnen fühlten, nichts mit den vorherigen Aussagen zum Fähigkeitsselbstkonzept zu tun. Wie in anderen Studien zeigte sich auch hier, dass Cortisolspiegel und gefühlter Stress unabhängig voneinander sind. „Natürlich sollten Schüler sich nicht übermäßig gestresst fühlen. Aber man möchte auch nicht, dass jemand sich gut fühlt, aber trotzdem einen dauerhaft erhöhten Cortisolspiegel hat“, so die Forscherin. Denn das Hormon wirke auf eine ganze Reihe von physiologischen Prozessen; es erhöhe zum Beispiel den Blutdruck und fahre das Immunsystem herunter.
*Stress in G8 oder G9 höher?*
In einem dritten Forschungsprojekt untersuchte Minkley, ob G8 und G9 unterschiedlich auf den Stresslevel von SchülerInnen wirkt. Hier machte sie sich zunutze, dass Cortisol sich nicht nur kurzfristig im Speichel nachweisen lässt, sondern auch über Monate hinweg im Haar, dort wird er in Zeitspannen eingelagert. Minkley verglich also die SchülerInnen des doppelten Abiturjahrgangs, die nach acht (G8) beziehungsweise neun Jahren (G9) ihre Reifeprüfung absolvierten. Vier Wochen nach den Prüfungen sammelte sie von ihnen eine Haarsträhne ein und analysierte einen vier Zentimeter langen Abschnitt, den sie halbierte. Die eine Hälfte stammte aus der Vorprüfungsphase, die andere aus der Prüfungsphase.
Sowohl in der G8- als auch in der G9-Gruppe enthielt das Haar aus der Vorprüfungsphase weniger Cortisol als das Haar aus der Prüfungsphase. Allerdings fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der G8 und der G9-Gruppe. SchülerInnen, die die weiterführende Schule in acht Jahren absolviert hatten, hatten laut statistischer Analyse nicht mehr Stresshormon produziert, als solche, die ein Jahr länger Zeit gehabt hatten.
Ob damit aber bewiesen ist, dass die ganzen Diskussionen um G8/G9 umsonst waren, ist fraglich. In absoluten Zahlen hatten die G8-Schülerinnen zwar höhere Cortisolspiegel, aber der Unterschied war nicht groß genug, um sich in der statistischen Analyse nachweisen zu lassen.
Laut Minkley kann dies zwei Gründe haben: Entweder gibt es einfach keinen Unterschied zwischen G8 und G9 oder es gibt ihn nicht mehr – denn zum Zeitpunkt des Tests hatten beide Jahrgänge schon zwei Jahre lang zusammen Unterricht gehabt. „In der Unter- und Mittelstufe hätten wir möglicherweise Unterschiede finden können. Denn da wurden die Schülerinnen noch getrennt voneinander unterrichtet, und die G8er mussten sich in kürzerer Zeit auf die Oberstufe vorbereiten“, sagt Minkley.
„Ich glaube, Stress hat einen viel größeren Einfluss, als wir heute alle ahnen“, sagt die Biologiedidaktikerin. „Mein großes Ziel ist es herauszufinden, was Schüler im Schulalltag stresst, und darauf aufbauend didaktische Methoden zu entwickeln, mit denen man dem Stress entgegenwirken kann.“
Quelle:
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Autorin / Autor: Redaktion /Julia Weiler, Rektorat der Ruhr-Universität Bochum - Stand: 13. November 2014