Wenn der Freund zum Statussymbol wird.
Neulich in der Schule, großes Tamtam, eine Mitschülerin, nennen wir sie Annabel, hatte sich von ihrem Freund getrennt. Zwei Jahre waren sie zusammen gewesen, und jetzt: Aus und vorbei. Eigentlich kein Grund zu weinen, schon lange hätte es nicht mehr funktioniert, meinen ihre Freunde. Er sei ein Idiot gewesen, hätte jedem Rock hinterher geschaut. Annabel sah nicht unbedingt traurig aus, aber auch nicht fröhlich, eine Trennung, so etwas passiert im Leben. Zu mir meinte sie noch, jetzt würde alles besser werden. Singleleben, ich komme! war ihr neues Motto.
Zwei Wochen später hatte Annabel einen neuen Freund, die ersten Pärchenfotos wurden auf facebook hochgeladen. ‚Schatz, ich liebe dich‘ und Herzchen-Smileys an die Pinnwand – das übliche virtuelle Rumgeschmuse. Von einer in die nächste Beziehung, schon etwas merkwürdig, oder nicht? Warum brauchte sie so dringend einen neuen Freund, obwohl der letzte doch die helle Katastrophe zum Schluss gewesen war?
Eine Beziehung zu haben heißt ein Statussymbol mehr zu haben. Neben ,Mein Auto‘, ,Mein Pferd‘ oder ,Mein Hollister-Pullover‘ kommt immer mehr ,Mein Freund‘ hinzu. ,Mein Freund‘ ist überall einsetzbar und kann den ,Wert‘ der dazugehörigen Freundin um einiges steigern. Plötzlich ist das Mauerblümchen, das gestern noch nicht beachtet wurde, Thema Nr. 1, der Bekanntheitsgrad der Person mit Freund wächst enorm. Und das meine ich nicht ironisch, sondern ganz ehrlich. Wer einen Freund hat, so die Vermutung der Schülerschaft, muss etwas Interessantes an sich haben. Einen Freund zu haben bedeutet also gleichzeitig, das gewisse ,Etwas‘ zu haben: Ausstrahlung, Figur, Frisur oder ähnliches. Es wird gefragt: "Was hat sie, das ich nicht habe?". Der Freund wird damit zu ,Mein Freund‘ – das neue Statussymbol. Wer einen Freund hat, so die gängige Meinung, muss es im Leben irgendwie geschafft haben, denn nur die angesagten Leute können ihre Sätze mit ,Mein Freund‘ beginnen. Und die glücklichen Vergebenen nutzen ihre sozialen Status gerne: Mit "Mein Freund…" fängt jeder Satz an. Nicht der Name der entsprechenden Pärchenhälfte wird genannt, sondern nur seine Funktion als ,mein Freund‘. Auch eine sehr gute Freundin von mir, die ich sehr schätze und eigentlich als natürlichen und vernünftigen Menschen kenne, redet von ihrem Freund immer nur als ,Mein Freund‘, wenn sie in Gesellschaft ist. Privat ist das ,Schatz‘ oder einfach der Name.
Nachdem ich die ganzen Feldversuche in der Schule getätigt habe, verstehe ich jetzt, warum Annabel so dringend einen neuen Freund brauchte: Ihr Status als ,glücklich vergebene, liebende Freundin‘ hätte sie streichen können und wäre in der leeren Bedeutungslosigkeit versunken. Mich erinnert diese ganze Farce um "Mein Freund" ein bisschen an das Mittelalter. Als die verheirateten Frauen stolz ihr Haar bedeckt haben und die jungfräuliche, unverheiratete Schwester eine Schande für die Familie war. Nachdem kein Mann sie haben wollte, weil sie nicht hübsch genug war, verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre einsam hinter Klostermauern und fragte sich jeden Tag, warum sie keinen Ehemann abbekommen hatte. Ins Kloster geht niemand mehr, weil er, oder besser sie, keinen Freund ,abbekommen‘ hat. Aber anscheinend ist die Angst so groß, nicht mehr wahr genommen zu werden, dass viele fast krampfhaft versuchen, einen Freund zu finden. Oder wenigstens eine kurze Liebelei, mit der sie sich brüsten können. Schade, dass die Liebe zu etwas wie einem Statussymbol geschrumpft ist!
Autorin / Autor: hanami - Stand: 29. Juli 2013