Wenn dreckiges Geschirr zu dir spricht
Philosoph:innen haben eine Theorie, warum Frauen immer noch mehr Hausarbeit machen. Sie lesen in schmutzigen Tellern gleich die implizite Aufforderung "Spül mich" mit
So fortschrittlich und um Gleichstellung bemüht unsere Gesellschaft auch scheint, es gibt immer noch jede Menge Ungleichheiten. Das fängt bereits zu Hause an. Hausarbeit ist immer noch überwiegend "Frauensache" und viele Männer sehen nicht, was gemacht werden müsste und auch nicht, was von anderen gemacht wurde. Den meisten von ihnen ruft der Stapel dreckiger Teller offenbar nicht zu "Spül mich" und auch die dicke Staubschicht macht nicht auf sich aufmerksam.
Ungleichheit und Unsichtbarkeit
In der Fachzeitschrift Philosophy and Phenomenological Research haben die Philosoph:innen Dr. Tom McClelland von der Cambridge University und Co-Autorin Prof. Paulina Sliwa zwei Fragen aufgeworfen, die ihrer Ansicht einer Erklärung bedürfen: Zum einen die "Ungleichheit", also warum Frauen trotz wirtschaftlicher und kultureller Errungenschaften weiterhin den Großteil der Hausarbeit und der Kinderbetreuung übernehmen? Zum anderen die "Unsichtbarkeit", nämlich warum so viele Männer glauben, dass die Hausarbeit gleichmäßiger verteilt ist, als es tatsächlich der Fall ist?
In den Diskussionen wird oft darauf verwiesen, dass Frauen aufgrund von Kundenbetreuung häufiger in Teilzeit arbeiten und darum auch mehr mit den häuslichen Aufgaben befasst sind. In der Pandemie aber, wo die Wissenschaftler:innen auch Daten erhoben hatten, waren Männern auch ständig zu Hause. Dennoch hat sich die Situation nicht verändert und Männer nahmen die ungleiche Arbeitsteilung trotzdem nicht wahr.
Putz mich! Wenn Dinge zu bestimmten Handlungen "einladen"
McClelland und Co-Autorin Prof. Paulina Sliwa argumentieren, dass die ungleiche Arbeitsteilung im Haushalt - und die Unfähigkeit der Männer, diese Arbeit zu erkennen - am besten durch den psychologischen Begriff der "Affordanzen" erklärt werden kann: die Vorstellung, dass wir Dinge als einladend oder "ermöglichend" für bestimmte Handlungen empfinden.
"Dabei geht es nicht nur darum, die Form und Größe eines Baumes zu betrachten und dann zu vermuten, dass man auf ihn klettern kann, sondern darum, einen bestimmten Baum als kletterbar oder eine Tasse als trinkbar zu betrachten", so Sliwa.
Aus der Neurowissenschaft weiß man, dass die Wahrnehmung einer solchen Affordanz uns auf eine physische Handlung vorbereitet. Und dass es mental anstrengend ist, auf diese Affordanz nicht zu reagieren. Eine Frau nimmt also das Geschirr wahr als zu spülendes Geschirr und den leeren Kühlschrank als zu füllenden Kühlschrank. Er schreit sie geradezu an, in Aktion zu treten und es kostet sie eine gewisse Anstrengung, es nicht zu tun. Der Mann spürt diesen Ruck nicht und sieht einfach einen leeren Kühlschrank.
Antrainiert durch soziale Hinweise
Diese unterschiedliche Wahrnehmung könnte nach Ansicht der Philosophen eine Reihe von Ursachen haben, letztlich sind sie antrainiert und das Resultat von sozialen Hinweisen, die uns im Laufe unseres Lebens gegeben werden. "Einige Fähigkeiten sind explizit geschlechtsspezifisch, z.B. das Putzen oder die Körperpflege, und von Mädchen wird erwartet, dass sie mehr Hausarbeit leisten als Jungen. Dadurch wird ihre Sichtweise auf die häusliche Umgebung geschult, so dass sie einen Tresen als 'zu wischen' ansehen", erklärt McClelland.
Dies soll keine Entschuldigung für Männer sein, betonen die Philosophen. "Männer sollten ermutigt werden, sich geschlechtsspezifischen Normen zu widersetzen, indem sie ihre Sensibilität für häusliche Aufgaben verbessern", so McClelland.
"Ein Mann könnte sich beispielsweise vornehmen, jedes Mal nach Krümeln zu fegen, wenn er darauf wartet, dass der Wasserkocher kocht. Das würde ihnen nicht nur helfen, die Aufgaben zu erledigen, die sie nicht sehen, sondern würde auch ihre Wahrnehmung allmählich schulen, so dass sie die Handlungsanregungen in Zukunft sehen würden."
Die Philosophen sind der Ansicht, dass diese tief verwurzelten geschlechtsspezifischen Unterschiede in der häuslichen Wahrnehmung durch gesellschaftliche Maßnahmen wie einen verlängerten Vaterschaftsurlaub verändert werden können, der Männer dazu ermutigt, mentale Assoziationen für Aufgaben im Haushalt zu entwickeln.
Quelle:
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung via eurekalert.org - Stand: 5. Januar 2023