Wie geht eine gute Beziehung?

US-Studie beklagt mangelnde Gesprächskultur zwischen Jugendlichen und Erwachsenen über Liebe und Sex

"Was? Schon wieder einen neuen Freund?" oder "Mein Gott, du triffst dich ja mit vielen Jungs!" - Viele Erwachsene glauben, dass Jugendliche heute viel häufiger und wahlloser sexuelle Beziehungen eingehen als früher. Aber stimmt das eigentlich? Das wollte ein Forschungsteam der Harvard Graduate School of Education mal genauer wissen und befragte rund 3.000 junge Erwachsene und Gymnasiast_innen mit Hilfe von formalen Interviews und informellen Gesprächen. Dabei stellte sich heraus, dass eine solche "Dating"-Kultur, die durch sexuelle Freizügigkeit gekennzeichnet ist, weitaus weniger bei jungen Leuten verbreitet ist als angenommen. Diese Überschätzung hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf Eltern und Pädagog_innen, sondern auch auf die Jugendlichen selbst. Viele junge Erwachsene fühlen sich durch diese Erwartungen unter Druck gesetzt, sexuelle Erfahrungen machen zu müssen, auch wenn sie noch gar kein Interesse daran haben oder nicht bereit dazu sind.

Allerdings deutet der Bericht der Forschungsgruppe auch darauf hin, dass viele Jugendliche Probleme haben, stabile Liebesbeziehungen aufzubauen und dass Frauenfeindlichkeit und sexuelle Belästigung unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen weit verbreitet sind. Zwar wünschten sich viele Jugendliche dauerhafte Liebesbeziehungen, aber seien nicht darauf vorbereitet, heißt es in der Studie.

*Keine Anleitung zur reifen Beziehung*
Aus den Interviewaussagen der Jugendlichen geht offenbar hervor, dass Eltern, Erzieher_innen und andere Erwachsene jungen Menschen nur wenig oder gar keine Anleitung zur Entwicklung solcher Beziehungen bieten, obwohl sich 70 Prozent der Befragten (18- bis 25-Jährigen) mehr Informationen über den emotionalen Aspekt von Liebesbeziehungen von den Eltern und 65 Prozent mehr Beratung dazu in der Schule wünschen. Dazu gehören für sie Fragen wie "wie sieht eine reife Beziehung aus", "wie geht man mit Trennungen um?" oder" wie fängt man eine Beziehung an". Solche Fragen beantworte aber keine Sexualerziehung, die meist nur als "Katastrophenvorsorge" diene, damit es nicht zu frühen Schwangerschaften oder Geschlechtskrankheiten komme, so die Studienautoren.

*Sexismus weit verbreitet*
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Frauenfreindlichkeit und sexuelle Belästigung scheinen unter den Jugendlichen weit verbreitet zu sein, doch eine bedeutende Mehrheit der Eltern scheint nicht mit ihnen darüber zu sprechen. 87 Prozent der interviewten Frauen zwischen 18 und 25 berichteten, dass sie schon sexuelle Belästigung erlebt hatten, doch 76 Prozent der Befragten haben noch nie mit ihren Eltern darüber gesprochen, wie man das vermeiden könnte. Die Mehrheit hat wohl auch noch nie mit ihren Eltern über verschiedene Formen von Sexismus geredet.

Erstaunlich ist, dass Jugendliche trotz der häufigen sexuellen Übergriffe eher kein Problem von geschlechtsspezifischer Benachteiligung in der Gesellschaft sehen. Vierundvierzig Prozent stimmten der Aussage zu, dass "die Gesellschaft einen Punkt erreicht hat, in dem Frauen nicht mehr benachteiligt sind". Neununddreißig Prozent der Befragten waren der Meinung, zu dass es "selten ist, im Fernsehen eine Frau zu sehen, die in einer unangemessen sexualisierten Weise behandelt wird." Etwa ein Drittel der männlichen Befragten fand aber, dass Männer in Liebesbeziehungen dominieren sollten. Es klafft offenbar eine große Lücke zwischen der Wahrnehmung gesellschaftlicher und sexueller Gleichstellung von Männern und Frauen.

Die Forscher_innen schließen aus ihrer Studie, dass die Gesellschaft darin versagt, junge Menschen auf das vielleicht Wichtigste im Leben vorzubereiten: zu lernen wie man liebt und eine erfüllende Liebesbeziehung zu pflegen. Außerdem sei es schockierend, wie wenig Erwachsene etwas gegen frauenfeindliche Einstellungen und sexuelle Belästigung unternehmen. Diese mangelnde Aufklärung wird sich laut den Forschern nicht nur in Liebesbeziehungen, sondern auch in vielen anderen Lebensbereichen manifestieren.

Quellen:

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteillung