Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Autorin: Cho Nam-Joo
ins Deutsche übersetzt von Jan Henrik Dirks
Mani ist eine Frau Mitte dreißig, die in einem der ärmsten Viertel Seouls aufgewachsen ist und nach wie vor dort lebt. Anhand sich abwechselnder Rückblenden und Gegenwartsbeschreibungen erfährt man, dass das Leben es nie wirklich gut mit ihr gemeint hat. Als Kind wollte sie Turnerin werden, hat jedoch zu spät begonnen und war vollkommen talentfrei, als Erwachsende findet sie nur schlecht bezahlte Jobs und wird schließlich entlassen. Zu allem Überfluss wohnt sie auch noch bei ihren Eltern, deren Leben sie durch ihr mickriges Einkommen mitfinanziert hat.
Mit beinahe vierzig ist sie auch immer noch nicht verheiratet – und fristet ein Dasein voll schlechtem Gewissen, Scham und Aussichtslosigkeit.
„Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah“ hat nichts von der Romantik, die man aufgrund des Titels vielleicht erwarten könnte. Auch der Klappentext ist eher irreführend und ich habe anhand dessen etwas anderes erwartet. Kleiner Spoiler: Das Thema, das dort aufgebracht wird, wird eigentlich erst zum Ende hin so richtig behandelt.
Die meiste Zeit über fand ich die Handlung beinahe langweilig, dann wieder hatte ich Mitleid mit Mani, konnte aber viele ihrer Entscheidungen und Ansichten nicht ganz nachvollziehen. Die Beziehung zu ihrer Mutter wirkt so, als wäre Mani niemals richtig erwachsen geworden, die Beziehung zu ihrem Vater besteht beinahe nicht, weil dieser als furchtbar gleichgültig allem gegenüber – auch seiner Tochter – beschrieben wird. Und das, obwohl sie unter demselben Dach leben.
Es wird eeewig lang erzählt, wie ihre Wohnverhältnisse waren, was es für Wohnungsbauvorhaben gab und wie diese wieder verworfen wurden. Ich verstehe, was damit bezweckt werden sollte, allerdings hätte man das meines Erachtens auch in einem eigenen Kapitel abhandeln können, anstatt es immer wieder aufzubringen. Dazwischen erfährt man viel über Manis Kindheit, in der sie gemobbt wurde und sich ihren größten Traum, Turnerin zu werden, nie erfüllen konnte.
Außerdem sind ihr viele unangenehme Dinge geschehen. So glaubte sie zum Beispiel, sie hätte Durchfall gehabt, der in die Hose gegangen ist, als sie zum ersten Mal ihre Tage bekam. Das war schockierend zu lesen und hat viel Mitgefühl in mir ausgelöst, allerdings war der Schreibstil die meiste Zeit über einfach nicht meins. Ab und zu gab es ein paar Stellen, die mich amüsiert haben, weil sie wirklich witzig geschrieben waren, aber ansonsten wirkte die Handlung für mich einigermaßen durcheinander und teilweise auch repetitiv. Damit das nicht falsch ankommt – ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Manis Leben (vor allem in ihrer Kindheit) sehr hart war und möchte ihr (und allen, für die sie stellvertretend steht) das keinesfalls absprechen. Zu großen Teilen konnte ich ihre Hoffnungslosigkeit auch vollkommen verstehen, da sie ein klares Opfer der gesellschaftlichen Umstände ist. Sich vorzustellen, dass viele Menschen in Korea tatsächlich so leben, ist grauenvoll. Allerdings hat es durch die doch recht langatmige Erzählweise und den vollständig fehlenden Spannungsbogen kaum meine Emotionen angesprochen.
Ich bin mir sicher, dass nicht für jede_n Leser_in Dramatik vonnöten ist, aber diese Nüchternheit, mit der Mani von ihrem Leben berichtet hat, lag mir leider nicht. Dennoch war es eindrücklich zu lesen, wie es einkommens- und bildungsschwachen Familien in Korea ergehen kann.
Dies ist allerdings schon das zweite Buch von Cho Nam-Joo, das mich nicht so richtig kriegen konnte, und ich bin unsicher, ob ich einem dritten eine Chance geben würde.
Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch
Autorin / Autor: Sarah H. - Stand: 3. April 2024