Zero Waste Fashion
Die Designerin und Künstlerin Laura Schlütz gründete mit der „machart manufaktur“ ein Modeunternehmen, in dem bei der Kleiderherstellung kaum Stoffabfälle anfallen. Wer ist die Designerin, welche Themen bewegen sie und hat Kunst eigentlich wirklich einen Einfluss auf unser Verhalten? Aurelia und Pia haben sich mit Laura Schlütz unterhalten.
Aurelia: Kannst du dich uns kurz vorstellen?
Ich bin studierte Mode-Textil-Designerin und Medienwissenschaftlerin. Ich bin viel im Bereich Nachhaltigkeit und Mode unterwegs, und zwar nicht nur mit meinem eigenen Label, bei dem es um Zero-Waste-Fashion-Design geht, sondern auch im Bereich der kulturellen Bildung und der Kunst. Mein Ziel ist es, die Konsument:innen von morgen auf einen Weg zu bringen, auf dem man Nachhaltigkeit nicht als einen Klotz am Bein oder einen Verzicht sieht, sondern als kreatives Potential. Es geht auch darum, schon vorhandene Textilien als Arbeitsstoff zu sehen, anstatt sich immer nur auf Neuproduktion zu konzentrieren.
Aurelia: Da hast du schon viele spannende Sachen gesagt, auf die wir auch später noch eingehen werden. Zu Beginn aber eine kleine Frage, um dich besser kennenzulernen: Was ist dein Lieblingskleidungsstück und warum?
Ich würde sagen, mein Lieblingskleidungsstück ist eine Zero-Waste-Culotte aus meiner allerersten Kollektion. Das ist einfach ein zeitloses Teil. Ich verbinde aber auch emotional sehr viel damit, weil es eines meiner ersten schnittabfallsfreien Kleidungsstücke war, das mich schon sehr lange begleitet. Damit ist es eine Art Beweis dafür, dass Mode auch über viele Jahre hinweg tragbar sein kann, wenn sie zeitlos und aus dem richtigen Material gemacht ist.
Pia: Du hattest ja die Idee zum „Zero Waste“ und hast darauf aufbauend dein Label gegründet. Mit welchen drei Stichworten würdest du diese Idee beschreiben?
Ressourcenschonend, Zeitlosigkeit und… innovativ, aber gleichzeitig ganz alt.
Pia: Und warum diese Stichworte?
Beim Zuschnitt von Kleidung fallen ungefähr zwanzig Prozent Abfall an. Das ist sehr viel: Bei einem konventionellen Shirt, das am Ende vielleicht 180 Gramm wiegt, wenn es aus einem hochwertigen Stoff ist, sind 37 Gramm Abfall im Zuschnitt angefallen. Wenn man das auf die zwei Milliarden T-Shirts hochrechnet, die pro Jahr auf der Welt hergestellt werden, ist das ein Riesenberg aus Abfall, der nur im Zuschnitt entstanden ist – allein bei T-Shirts. Es war mein Anliegen, als Designerin ressourcenschonender mit Textilien umzugehen, ohne die Last dabei auf die Konsument:innen zu legen.
„Zeitlosigkeit“ würde ich nehmen, weil ich mit dieser Art von Mode entgegen den schnellen Produktionszyklen und Trendströmungen arbeite. Damit achte ich auf eine gewisse Schlichtheit, Multifunktionalität, sodass ein Kleidungsstück so lange wie möglich im Kleiderschrank bleiben kann, auch wenn man vielleicht mal ein paar Kilo mehr oder weniger wiegt oder es schon drei Jahre später ist. Das Kleidungsstück, das am häufigsten und längsten getragen wird, ist am Ende immerhin das nachhaltigste.
Und das Stichwort „innovativ und doch alt“ würde ich damit begründen, dass ich mit Zero-Waste-Fashion-Design etwas aufgreife, das gar nicht neu ist, sondern nur in Vergessenheit geraten. Es gibt zum Beispiel traditionelle Kleidungsstücke wie Fisher Pants oder den Kimono, die auch früher schon ganz ohne Abfall ausgekommen sind. Damals gab es aber andere Beweggründe als heute: Kleidung und Stoffe waren ein so unfassbar wertvolles Gut, dass kein Quadratzentimeter davon verschwendet werden durfte. Ich finde, zu dieser Wertschätzung müssen wir wieder zurück. Das Innovative und Neue daran ist, dass wir uns ein bisschen von unseren gewohnten Kleidungsformen lösen müssen. Auch der Designprozess ist ein anderer. Wenn ich z.B. mit den „Deadstock Fabrics“ arbeite, also mit den Stoffen, die bei der Produktion übriggeblieben sind und normalerweise direkt den Weg in den Müll finden, weil Lagerkapazität zu teuer ist, bin ich darauf angewiesen, was kommt.
Manchmal bleiben auch kleine Teile übrig, deshalb sagt man dazu auch „Low Waste Design“.
Ich muss immer wieder individuell auf die Gegebenheiten eingehen und orientiere mich nicht an vorhandenen Grundschnitten. Dadurch sehen meine Kleidungsstücke manchmal ein bisschen anders aus, als wir es gewohnt sind, und erhalten erst durch den Körper ihre richtige Form.
Pia: Wie kam es denn dazu, dass du dein Label überhaupt gegründet hast? Wie hat das Ganze angefangen?
Das hat direkt im Studium angefangen. Ich habe nach einem Thema für meine Bachelorarbeit gesucht und wollte etwas machen, das mehr ist als reines Fashion-Design. Bei meiner Recherche kam ich ganz schnell zum Upcycling, aber das war mir nicht innovativ genug. Durch ein Seminar bin ich dann über das Thema gestolpert. Nachhaltigkeit war damals noch ein Nischenthema. Es gab aber zwei Designer, Timo Rissanen und Holly McQuillan, die sich damit beschäftigt haben. Ich habe mir das angeschaut und wollte direkt eine Kollektion dazu machen. Ohne viel Vorwissen habe ich mich da reingestürzt. Und dann bin ich dabeigeblieben, das war der Start des Ganzen.
Aurelia: Ressourcenschonend schneidern klingt erst einmal nach einem kleinen Schritt, wenn wir die ganze Modeindustrie umstellen wollen. Wie viel Stoff kannst du durch deine Arbeitsweise einsparen, und könnten große Modemarken das genauso machen?
Ich habe keine Studien dazu aufgestellt, wie viel ich sparen kann. Aber ein anschauliches Beispiel wäre, dass ich mehrere Kleidungsstücke auf einer Stoffbahn zuschneide, um auf die Schnittabfallfreiheit zu kommen. Auf einer Stofflänge von ungefähr 1,80 kann ich zum Beispiel ein kurzes Kleid und eine Culotte zuschneiden, während oft Stofflängen von 2 Metern oder 2,30 angegeben werden, wenn man sich selbst nur eine Hose nähen möchte.
In der Industrie sind die Maschinen und Schnitte allerdings nicht darauf ausgelegt, so zu arbeiten. Deshalb wird das alles – leider – noch nicht im großen Stil umgesetzt.
Pia: Würdest du sagen, dass deine Kleidung dadurch, dass du so viel Stoff einsparst, billiger wird? Wie viel kostet ein Kleidungsstück bei dir im Vergleich zu anderen Marken?
Ich glaube nicht, dass die Kleidung dadurch unbedingt billiger wird. Klar, dadurch dass ich 20 Prozent des Stoffes einspare, habe ich eine gewisse Materialeffizienz. Allerdings arbeite ich natürlich nicht so wie beispielsweise H&M. Ich mache keine vier Millionen T-Shirts im Jahr, und darum geht es mir auch gar nicht.
Die meisten Kleidungsstücke werden bei mir erst gefertigt, wenn jemand auch wirklich Interesse daran hat. Meistens präsentiere ich mich auf Messen oder anderen Events, wo man die Kleidung sehen, anfassen und anprobieren kann. Ich bespreche mit den Kund:innen ganz individuell, welche Version sie zum Beispiel von einem Top haben wollen, sie wählen den Stoff aus und dann wird das produziert und entweder abgeholt oder zugeschickt.
Auch dadurch, dass ich mit ganz anderen Materialien arbeite, die per se schon einen höheren Preis haben, ist das schwierig zu vergleichen. Aber wenn man sich ein T-Shirt von Gucci kauft, das 120 Euro kostet, kann man sich auch ein Zero-Waste-Top von mir kaufen. Das kostet 80 Euro, ist aber besser. (lacht)
Pia: Du nähst ja nicht nur Kleidung, sondern machst auch Kunst und engagierst dich in der ökologischen und kulturellen Bildung. Welches Projekt hat dir bisher am meisten Spaß gemacht?
Welcher von den drei Bereichen mir am meisten Spaß macht, kann ich gar nicht sagen. Gerade die Mischung ist mir wichtig. Ich brauche intensive Phasen, in denen ich im Atelier vor mich hinarbeite, ich brauche genauso aber auch den Austausch mit der Welt draußen, den ich über die künstlerischen Projekte und über die kulturellen Bildungsprojekte bekomme.
Eine besonders tolle Erinnerung aus diesem Jahr ist ein künstlerisches Projekt, das „Sweatshop“ heißt und das ich im Rahmen der Stadtbesetzung in Viersen umgesetzt habe, einer kleinen Stadt an der holländischen Grenze. Dabei wurde ein Raum in der Innenstadt in einen Pop-up-Store verwandelt, der von außen wie ein neuer Modeladen aussieht. Innen erwartet dich aber die Atmosphäre von einem Sweatshop, von einer Fabrik, in der Kleider genäht werden. Es ist dunkel, es ist warm, es ist laut, eine Original-Tonspur aus einer Näherei in Bangladesch läuft. Von der Decke hingen genau 74 T-Shirts, die zusammen 11,2 kg ergeben, das entspricht dem durchschnittlichen textilen Abfall pro Person in Europa. Auf diesen T-Shirts standen außerdem verschiedene Fakten zur Textilproduktion, wie zum Beispiel die 2 Milliarden Shirts, die produziert werden, oder auch der Stundenlohn von Näherinnen. Damit die Besucher:innen da nicht gelähmt rausgehen, gab es am Ausgang noch einen Punkt, wo man auf ein symbolisch leeres Textiletikett seine Wünsche für das Textiletikett der Zukunft schreiben konnte, und draußen gab es einen Raum für Diskurs und Austausch der Besuchenden untereinander und mit mir gemeinsam.
Das war wirklich ein schönes Projekt, das gezeigt hat, dass man viele Menschen auch mit einem unbequemen Thema erreichen konnte. Ich allein mit meinem Zero-Waste-Label werde nicht dazu fähig sein, große Unternehmensstrukturen weltweit zu verändern. Aber ich glaube, je mehr solche kleinen Pflanzen wachsen und die Welt ein bisschen grüner machen, desto mehr kann auch ein Großteil der Gesellschaft dafür sensibilisiert werden. Und dann ist die Lobby aufseiten der Zivilgesellschaft irgendwann groß genug.
Aurelia: Würdest du denn sagen, dass Kunst einen echten Zugang zur Nachhaltigkeit in der Mode darstellen kann?
Auf jeden Fall. Ich glaube, das muss Kunst sein, die nicht sehr elitär ist, weil man damit sonst zu wenige Menschen erreicht. Es hilft uns auch nicht, wenn nur wenige Menschen, die es sich leisten können, sehr nachhaltig leben, egal ob in der Mode oder woanders, und wir alle anderen ignorieren. Es würde uns viel mehr helfen, wenn jede einzelne von uns kleine Schritte in ihrem Alltag verändert. Deshalb können gerade solche Projekte, die nah an den Menschen sind, gute Schlüsselmomente sein. So kann man neue Zugänge schaffen, auch abseits von klassischen Bildungswegen oder Formaten, die immer nur eine bestimmte Zielgruppe ansprechen.
Pia: Zum Abschluss: Was muss sich deiner Meinung nach in der Modeindustrie und in unserem Konsumverhalten ändern?
Mein Schlüsselwort in der ganzen Thematik ist Wertschätzung. Es muss bei uns Konsument:innen der Schalter im Kopf umgelegt werden, dass wir nicht diese Massen an Kleidung brauchen, die wir gerade konsumieren.
Dann muss aber auch auf der Seite der Unternehmer:innen das Thema Wertschätzung aufgegriffen werden, wenn es um die Bezahlung der Arbeiter:innen und den Umweltschutz geht. Es würde auch nichts bringen, gar keine Kleidung mehr aus Bangladesch zu kaufen, weil dort so viele Menschen ihr Lebenseinkommen, sei es genug oder nicht, durch die Textilindustrie bestreiten.
Es geht eher darum, Prozesse viel langsamer zu gestalten, den Bedarf zu verringern, achtsamer mit den Materialien umzugehen. Wir wollen nicht die günstigste Baumwolle für das günstigste T-Shirt, sondern wir wollen einen hochwertigen Baumwollstoff, der länger hält, und der auch nicht unter so großem Zeitdruck zu einem T-Shirt verarbeitet werden muss. An der Stelle würden also kleinere Mengen und eine größere Langsamkeit schon ausreichen, um eine Wirkung zu erzielen
Aurelia: Vielen Dank. Es war wirklich spannend, von dir zu hören, von deiner Arbeit und deinen Ideen. Ich finde, wir sollten uns das öfter zu Herzen nehmen und darüber nachdenken, wie wir Mode mehr wertschätzen können.
Lies noch mehr Artikel und Interviews zum Thema
Du möchtest auch zum Thema nachhaltige Mode schreiben?
Bewirb dich in der Redaktionsgruppe Klima&Klamotten
Autorin / Autor: Pia und Aurelia (Redaktion Klima & Klamotten) / Laura Schlütz; Fotos: Lukas Günther, Lautra Schhütz - Stand: 19. Januar 2023