Spiegelwelt

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Langsam streifte ich durch den hinteren längst vergessenen Teil des kleinen Schlosses. Eigentlich war es nur ein altes Anwesen mit einem riesigen Garten und einem kleinen Bambuswäldchen, aber für mich war es eher ein Schloss.
Es war so überwältigend, ein bisschen wie aus einem Märchen mit seinen drei Türmen und dem imposanten Eingangstor fand ich. So etwas hatte doch nicht den Namen „altes Anwesen“ verdient.
Außen war alles wieder zurecht gemacht worden, dort waren die weiten Rasenflächen gemäht, die Beete geharkt und das Dach neu gedeckt. Drinnen war es auch schon fast fertig renoviert, aber auch nur der vordere Teil.
Es war schon seltsam, dass dies nun mein neues Zuhause sein sollte. Meine Eltern hatten schon seit einiger Zeit nach einem passendem Anwesen gesucht, das sie kaufen konnten, um dann ein Hotel zu eröffnen. Und dann, die beiden konnten ihr Glück kaum fassen, hatten sie doch tatsächlich das Traumhaus gefunden, in England bei Brighton.
Und so kam es, dass ich an einem Tag, an dem ich gerade nicht Zimmer streichen oder Fenster putzen musste, gelangweilt durchs Schloss streifte und an einer Tür vorbeikam, die seltsamerweise verschlossen war. Ich war neugierig auf das, was dahinter war und lief hinunter, um mir Draht zu holen, damit ich die Tür aufbrechen konnte.
Nach einigem Probieren machte es endlich „klack“ und die Tür schwang mit einem Knarzen auf. Und da stand ich. In einem dunklen Korridor, behängt mit Gemälden und aufwändig gewebten Wandteppichen. Irgendwie jagte er mir Angst ein, dieser leicht dämmrige und alt riechende Flur. Ich machte ein paar Schritte auf das mir am nächsten hängende Porträt zu.
Eine Frau mittleren Alters mit kunstvoll hochgestecktem Haar, die wie ein Weihnachtsbaum mit Schmuck behängt war, schaute mich mit blasiertem Blick aus ihren matten Froschaugen an. Neben dem Gemälde war eine angelehnte Tür. Ich trat näher, und was ich sah, ließ mich die Tür sofort ganz aufstoßen. Ich stand in einem wunderschönem Zimmer, in dem alle Sachen in Cremeweiß gehalten waren und die Möbel sehr alt, aber sehr wertvoll sein mussten. Wie verzaubert stand ich da und konnte mich nicht sattsehen. Es war, als ob ich in eine andere Welt getreten wäre. Doch über diesem Traum in Cremeweiß lag eine dicke Schicht Staub. Nach jedem Ding, das ich anfasste, hatte ich Staub an den Fingern. Ich ging zu einer Kommode mit einem Spiegel und zog eine Schublade heraus, darin lag nur eine kleine Kiste, die mit lila und weißen Rosen bemalt war.
Ich nahm sie heraus und klappte sie auf. Eine kleine Melodie dudelte mir entgegen und mein erster Gedanke war: Ah, eine Spieluhr, aber dann sah es doch nicht danach aus, denn innen war das Kästchen komplett mit Spiegeln ausgelegt. Von jeder Wand des Kästchens blickte mein verwundert aussehendes Gesicht und - was war denn das?! - statt des cremeweißen Zimmers, das eigentlich im Hintergrund meines Spiegelbildes hätte sein sollen, sah ich ein wogendes Grasfeld und einen plätschernden Bach im Hintergrund. War das vielleicht ein hochneumodischer Effekt? Ein Spiegel in dem man sich selbst sah, aber einen ganz anderen Hintergrund? Ich hörte sogar das Rauschen des Windes! WAS?! Das Rauschen des Windes? Mein Kopf fuhr hoch und ich sah nicht die cremeweiße Kommode mit dem Spiegel vor mir, sondern das, was mir das Spiegelkästchen gezeigt hatte! Ich stand am Rand eines Feldes, neben mir plätscherte ein Bach munter vor sich hin, der Himmel war knallblau und ein lauer Wind streichelte meine Beine. Wie nur war ich hierher gekommen? Doch nicht etwa, indem ich in das Spiegelkästchen geschaut hatte?

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Autorin / Autor: Kathinka, 13 Jahre - Stand: 14. Juni 2010